Wellness für Ihr Rad

Radpflegetipps vom ProfiWarum man die Radpflege nicht vernachlässigen sollte, weiß Stefan Keul. Der Radexperte, der auch für viele Profi-Räder bei Canyon verantwortlich ist, hat gute Tipps für diverse Radpflege- und Wartungsarbeiten.

 

Wann haben Sie eigentlich zum letzten Mal Ihr Besteck oder Ihre Kochtöpfe gereinigt? Sicherlich fragen Sie sich jetzt, was denn die Sauberkeit eines Küchengerätes mit der Pflege eines Fahrrades gemein hat. Um ehrlich zu sein, sehr viel sogar. Während in der Küche Bakterien und Keime Magenverstimmungen und Krankheiten hervorrufen können, wirkt sich beispielsweise ein nicht gereinigtes Kettenritzel mit viel Dreck in den Zwischenräumen zwar nicht direkt auf Ihre Gesundheit aus, sondern auf die Leistungswerte Ihres Radtrainings beziehungsweise Wettkampfs.

Über die Bedeutung der nur zu gern ignorierten beziehungsweise auf die lange Bank geschobenen Radpflege gibt Ihnen Stefan Keul wertvolle Tipps, jemand, der es wissen muss: Der Junior Team Liaison Manager der Firma Canyon zeichnet unter anderem Verantwortung für die technische Betreuung der Zeitfahr- und Aero-Rennräder der Profitriathleten Jan Frodeno, Boris Stein, Nils Frommhold, Patrick Lange, Markus Fachbach und Daniela Sämmler. Bei den international bedeutenden Rennen stellt Stefan Keul vor Ort sicher, dass die Wettkampfräder optimal gewartet in der Wechselzone auf ihren Einsatz warten.

Radpflegetipps vom Profi

Bremssystem checken

Bei der Überprüfung des Bremssystems genügt in aller Regel eine optische Überprüfung der Beläge, ob diese bereits zu stark abgenutzt sind oder nicht. Der Bremsschuh, in dem der Belag verschraubt ist, hat auch eine Verschleißanzeige in Form einer kleinen Schraube, und wenn diese dann die Felge berührt, ist es natürlich viel zu spät. Erfahrungsgemäß können gute Bremsgummis, selbst die für Carbonlaufräder, bis zu 3.500 Kilometer gefahren werden. Sinnvoll allemal ist es, nach jeder Ausfahrt – insbesondere bei Regen und auf stark verschmutzten Straßen – zu prüfen, ob sich kleine Steinchen im Gummi festgesetzt haben. Allerdings sollte der Fahrer die entsprechenden Schleifgeräusche schon bei der Ausfahrt hören und sofort beheben. Die Bremszüge selbst sollten spätestens alle zwei Jahre komplett gewechselt werden, egal, wie sie aussehen. Der Teufel steckt hier häufig im Detail, denn auch bei innenverlegten Zügen sammelt sich aufgrund der Kapillarwirkung Kondens- und Kriechwasser in der Außenhülle, kommt so mit dem Zug in Kontakt und bildet mit der Zeit Rost. Aber auch kleine Schmutzpartikelchen und Sandkörner können die Züge angreifen.

Schaltung justieren

Die beim mechanischen Schalten erzeugte Innenreibung führt dazu, dass die Wege, die das Schaltwerk zurücklegt, mit der Zeit immer kleiner werden und somit ein genaues Schalten nicht mehr möglich wird. Insbesondere bei den mittlerweile sehr geringen Abstufungen eines 11-fach-Systems wird diese Thematik gerne unterschätzt. In Verbindung mit der bereits bei den Bremszügen erwähnten Rostbildung sollten auch die Schaltzüge spätestens nach zwei Jahren ersetzt werden. Hinsichtlich der Einstellung der Schaltung kann man eigentlich sagen: „Never touch a running system“ – Vorausgesetzt die mechanischen Züge haben sich nach dem Wechsel beziehungsweise beim Neukauf gesetzt und die Schaltwege wurden nachjustiert. Grundsätzlich sollte nicht am Tag oder kurz vor dem Wettkampf an der Schaltung herumgefummelt werden. Das Risiko, etwas zu verschlimmbessern, ist viel zu groß. Was auf der Fahrt vom Auto zur Wechselzone noch fehlerfrei funktioniert, kann während der Belastung im Wettkampf schon ganz anders aussehen.

Bereifung

Ähnlich wie bei der Einstellung der mechanischen Schaltung sollte der Reifen grundsätzlich nicht kurz vor dem Wettkampf getauscht werden. Um sicherzustellen, dass Schlauch und Mantel – es sei denn man vertraut auf Tubeless oder Schlauchreifen – auch richtig montiert sind, sollten bis zum Wettkampf mindestens ein bis zwei Ausfahrten durchgeführt werden. Hinsichtlich der Abnutzung ist es ratsam, den Reifen nach jeder Ausfahrt und definitiv auch vor dem Wettkampf einer optischen Prüfung zu unterziehen, ob sich Scherben, Steine, Draht oder sonstige spitze Gegenstände im Mantel festgesetzt oder kleine Risse verursacht haben. Darüber hinaus besitzen die Reifen einiger Hersteller auch Verschleißanzeigen in Form von Einkörnungen im Profil. Und wenn diese dann mit der normalen Lauffläche plan sind, sollte spätestens der Mantel getauscht werden. Eine allgemeingültige Aussage, nach wie viel gefahrenen Kilometern oder Jahren ein Mantel allerspätestens ausgetauscht werden sollte, ist nicht möglich. Dies hängt nicht nur von der Kilometerleistung, sondern auch von der Reifenart selbst, dem gefahrenen Luftdruck, dem Untergrund und neben weiteren Faktoren auch vom Fahrverhalten ab. Das ist jedoch nicht auf den Schlauch übertragbar. An der Innenseite der Felge und dem Mantel ist er einem weitaus größeren Abrieb – teilweise auch durch im Ventilbereich eingedrungenen Schmutz und Sandkörner – ausgesetzt als der Außenmantel außen, und deshalb ist es ratsam, den Schlauch einmal jährlich zu ersetzen.

Laufräder| Speichen | Nabe

Und wenn der Schlauch dann schon ausgetauscht wird, sollte der ganze Innen- und Außenbereich der Felge ebenfalls mit einem fettlösenden und umweltverträglichen Mittel gesäubert werden, inklusive Ersetzen des Felgenbandes. Im „gleichen Atemzug“ empfiehlt sich ein Überprüfen der Spannung aller Speichen: Die kleinen Nippel an der Speichenaufhängung sollten gut geölt sein, damit die Speichen selbst genügend Spielraum haben, die Nippel sich bewegen und nicht reißen können. Sollte sich beim Laufrad selbst aufgrund des Durchfahrens mehrerer tiefer Schlaglöcher eine Acht gebildet haben, ist ein Zentrieren unausweichlich. Aber auch hier empfehle ich, unabhängig von der Laufleistung spätestens nach zwei Jahren ein Zentrieren vorzunehmen, schließlich können bei der optischen Prüfung nicht alle „Einschläge“ festgestellt werden.

Rahmen

Sportler, die ihr Fahrrad mit auf Reisen nehmen, sollten nach jedem Zusammenbau darauf achten, dass Lenker und Steuersatz wieder fachgerecht „eingesetzt“ wurden und zwischen Rahmen und Gabel keinerlei Spiel haben. Dies ist recht einfach feststellbar, indem man im Stehen einfach die Vorderradbremse zieht, das Rad leicht nach vorne und zurückbewegt und mit der anderen Hand an der Rahmen-Gabel-Schnittstelle prüft, ob alles fest sitzt oder nicht. Darüber hinaus ist auch bei allen anderen Schrauben, insbesondere bei Carbonrädern, darauf zu achten, dass die vom Hersteller vorgegebenen Drehmomente eingehalten werden. Carbon verträgt da überhaupt keinen Spaß. An den großflächigen „Klemmungen“, wie Sattelstütze und Lenker, sollte zusätzlich auch ganz dünn Carbonpaste aufgetragen werden. Dabei wird nicht nur das Anzugsmoment geringer, sondern auch das Rutschmoment reduziert. Die Schrauben selbst brauchen nicht nach jeder Ausfahrt nachgezogen werden, ich persönlich würde vor wichtigen Rennen Lenker, Steuersatz, Sattelklemmung und Sattelstütze und vor der ersten Trainingsausfahrt im Frühjahr zusätzlich den Sitz der Schrauben überprüfen. Triathleten, die häufig mit ihrem Fahrrad unterwegs sind, sollten sicherheitshalber immer ein Ersatzschaltauge im Gepäck haben. Nichts wäre ärgerlicher, als wenn beim Transport das Schaltauge kaputtginge, am Zielort kein Händler das benötigte Schaltauge vorrätig hätte und am Ende wegen eines Ersatzteiles für rund zehn Euro die geplante Ausfahrt oder der Wettkampf nicht angetreten werden könnte. Die Grundreinigung des Rahmens sollte definitiv nicht mit einem Hochdruckreiniger oder Dampfstrahler erfolgen, schließlich muss in aller Regel lediglich Dreck und klebriger Zucker entfernt werden, und das geht immer noch am besten mit ganz normalem Wasser.

Antrieb: Kette, Zahnkranz und Umwerfer

Wenn ich in den Wechselzonen bei den Altersklassenathleten einen Blick auf den Zustand von Kette und Zahnkränzen werfe, sträuben sich bei mir sehr häufig die Nackenhaare. Insbesondere dann, wenn es sich dabei um High-End-Zeitfahrräder handelt, die aerodynamisch und gewichtsoptimiert auf schnelle Radsplits ausgerichtet sind. Und dann das: dreckige Ketten, völlig „versiffte“ Zahnkränze und vor Dreck kaum sichtbare Plastikritzel am hinteren Umwerfer. Kein Wunder, dass viele Sportler auf diesem Gebiet sehr viel Leistung und Energie für das Überwinden des Dreckwiderstandes einsetzen und sich über schlechte Radzeiten ärgern. Und deshalb passt an genau dieser Stelle auch der eingangs beschriebene Vergleich mit dem dreckigen Kochtopf. Bei den Profis beispielsweise montiere ich vor jedem wichtigen Rennen eine neue und bereits mit Pulver beschichtete Kette von Ceramicspeed, die inklusive 30 Kilometer Einfahren genau eine Langdistanz hält. Danach ist der Effekt auch schon vorbei, und sie muss ganz normal geölt werden. Vor dem Hintergrund, dass diese Variante rund 150 Euro kostet, reicht es auch völlig aus, die bestehende Kette unter Verwendung von Waschbenzin – von einem Entfetter rate ich ab, da dieser auch die Schmierstoffe aus den Zwischenräumen der Kettenglieder löst – von allen Schmutzpartikelchen zu befreien, um sie anschließend mit einem richtig guten Kettenschmierstoff ,wie beispielsweise von Dryfluid, „einzuschmieren“. Dieser Vorgang sollte – auch wenn es sich jetzt nach sehr viel Arbeit anhört – alle 300–400 Kilometer wiederholt werden. Viele Radfahrer unterschätzen die kleinen Staub- und Sandkörner, die wie Schmirgelpapier Kette und Ritzel angreifen. Ihre Kette wird es Ihnen mit einer guten Performance und einer hohen Lebensleistung von bis zu 2.000 Kilometern danken. Und dies hat gleichzeitig den positiven Nebeneffekt, dass das – ebenfalls mit Waschbenzin regelmäßig gesäuberte – Ritzelpaket locker bis zu 10.000 Kilometer gefahren werden kann.

Mit Pulver beschichtete Radketten machen schnell

Pedale

Die Klickpedale sind recht wartungsarm, einmal eingestellt und fertig. Viel wichtiger ist, dass die vom Dreck befreiten Schuhplatten stets fest montiert sind. Ähnlich wie bei Bremsbelägen und der Bereifung sieht man auch den Platten sehr deutlich an, wann ein Austausch vorzunehmen ist. Shimano- und Look-Systeme haben hierfür in den Platten auch kleine Verschleißanzeigen integriert. Und mit der Zeit spürt man auch, insbesondere im Wiegetritt, dass die Platten mehr Spiel haben.

Wenn Sie diese Tipps für die Pflege und Wartung Ihres Zeitfahr- und Aero-Rennrad befolgen, haben Sie – unabhängig von Ihrem Training – eine weitere wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Saison gelegt.

Text: Stefan Keul
Fotos: Ingo Kutsche | sportfotografie.biz