Laufen: so einfach und doch so schwer (Teil 3)

2-run-1bis4-1024x682Nachdem wir in Teil 1 und Teil 2 dieser Laufartikelserie schon einiges von Roy Hinnen über effektives Laufen erfahren haben, erklärt Roy im letzten Teil, welche Fehler häufig beim Laufen gemacht werden und wie man diese vermeiden kann.

 

Wenn du die letzten zehn Kilometer bei einer Mittel- oder Langdistanz noch technisch sauber läufst, kannst du diese Tipps ignorieren. Für alle anderen geht es jetzt an die Arbeit.

Sieben Hauptfehler
Generell: Fehler holen uns immer wieder ein, egal, ob sie technisch-körperlich oder mental bedingt sind. Wer nicht ständig an ihnen arbeitet, fällt immer wieder in alte Bewegungsmuster zurück. Deswegen empfehle ich, die Übungen zu deinen technischen Fehlern bei jedem Lauf kurz durchzugehen. So werden sie dir wieder bewusst, und du kannst besser gegensteuern. Laufen auf nur sieben Hauptfehler zu reduzieren, ist optimistisch, reicht aber aus, um schneller zu werden.

Fehler Nr. 1: Deine Schultern fallen nach vorn. Du läufst nicht aufrecht

Du hast das Gefühl, schneller laufen zu können, wenn du dich nach vorne lehnst. Das ist aber falsch. Die Belastung auf Waden und Rücken ist dann viel höher, denn dein Körpermittelpunkt liegt nicht über deinem Körperschwerpunkt. Das kostet Kraft und Energie, die orthopädische Belastung 1-run-1-4-1024x682verlagert sich auf den Vorfuß, bei der Landung und beim Abdruck werden Wadenmuskulatur und Achillessehne unnötig belastet.
Übung: Beuge dich beim Laufen noch weiter nach vorne als sonst und sage dir: „Das Leben ist schwer, viel Gewicht lastet auf meinen Schultern.“ Laufe so in gebeugter Haltung für ein paar Meter. Dann richte dich langsam auf und sage: „Auf meine innere Haltung kommt es an. Ich fühle mich leicht und stark und handle aufrichtig.“ Dann richtest du den Oberkörper so weit wie möglich auf und streckst die Brust ein wenig vor. Du wirst größer, der Schwerpunkt wandert wieder mehr unter deine Körpermitte, die Belastung auf Wadenmuskulatur und Sehnen reduziert sich merklich. Wiederhole diese Übung ein paar Mal, bevor es mit dem Training losgeht.

Fehler Nr. 2: Dein Laufschritt ist zu lang und kräftig

Auch wenn deine Beine lang sind und du sehr große Schritte machst, verhilft dir das nicht zu einem ergonomischen Laufstil, wie er im Triathlon wichtig wäre. Deine Schrittfrequenz ist zu niedrig. Es dauert zu lange von einem Abdruck zum nächsten. Du springst mehr, als dass du läufst. Die orthopädische Belastung bei Absprung und Landung ist zusätzlich sehr groß, das heißt, Knochen, Sehnen und Gelenke werden stark belastet. Besonders die Achillessehne leidet unter diesem Laufstil.2-run-1bis4-1024x682
Übung: Erhöhe die Schrittfrequenz und damit auch deine Bodenkontakte. Kontrolliere mit deiner GPS-Uhr die Anzahl der Bodenberührungen pro 10 Sekunden. Pro Bein sollten das 15 Bodenkontakte sein, insgesamt also 180 pro Minute. Diese Frequenz gilt auch für Intervallläufe. Achtung: Mit einer höheren Kadenz ändert sich der Atemrhythmus. Versuche, eine ruhige Atmung aufrecht zu erhalten, die sich mit den Bodenkontakten verbindet.
Zum Beispiel: Einatmen während zwei Bodenkontakten, Ausatmen während zwei Bodenkontakten. Die 180 Bodenkontakte sind ein guter Mittelwert und zeigen dir, wie locker du auch bei schnellerem Tempo läufst.

Wenn dich schon länger Schmerzen an den Achillessehnen plagen, solltest du an der Elastizität deiner Sehnen und Waden arbeiten und regelmäßig dehnen. Zusätzlich kann es helfen, den Schollenmuskel an den Seiten des Unterschenkels zu stärken.

Fehler Nr. 3: Du läufst zu tief in deinen Gelenken

Auf gut Deutsch: Du läufst, als hättest du in die Hosen gemacht. Du sackst beim Laufen in die Hocke. So bekommst du dein Schwungbein nicht schnell genug wieder nach vorne. Der Abdruck fehlt, dein Schritt ist zu kurz. Die orthopädische Belastung liegt vor allem an Oberschenkel- und Pomuskulatur. Dieser Fehler kann aber auch auftreten, wenn mit zu kleinen Schuhen gelaufen wird, die 3-run-1bis4-1024x682Druck auf die Zehenspitzen ausüben und die Bewegungsfreiheit einschränken.
Übung: Ein ökonomischer Laufstil ist hoch aufgerichtet, die Brust ist vorne, der Kopf gerade über dem Hals und dein Schwerpunkt oberhalb der Hüfte. Richte dich auf, sei stolz darauf, dass du gerade jetzt am Laufen bist. Schiebe dein Becken nach vorne, sodass du rennend einen Krug voll Wasser auf dem Kopf oder mit einem Ledergürtel um die Hüfte tragen könntest, ohne viel zu verschütten.
Nutze die Arme, um die Bewegung der Beine zu unterstützen. Aktiviere dazu deine Armarbeit, verbinde die Hände gedanklich mit den Knien. Bewegt sich die rechte Hand nach vorne oben, zieht sie automatisch das linke Knie schwungvoll hoch. Umgekehrt zieht der linke Arm auch das rechte Bein mit. Ziel dieser Übung ist es, die Beine schnell und technisch sauber nach vorne zu bringen. Damit entstehen wie von selbst ein hoher Kniehub und eine höhere Frequenz.

Fehler Nr. 4: Du springst zu sehr

Dein Abdruck geht in den „Himmel“ statt in Laufrichtung. So kannst du viel zu wenig nach vorne beschleunigen und verschenkst eine Menge Tempo. Mit diesem „Gehopse“ konntest du vielleicht in der Schule die anderen Kinder beeindrucken und hast den 80-Meter-Sprint gewonnen. Heute ist das anders. Um lange Zeit schnell zu laufen, brauchst nicht hoch zu springen. Die 4-run-1bis4-1024x683orthopädische Belastung liegt in einem zu hohen Druck auf der Fußsohle. Das kann zu Gelenkproblemen und zu Blasenbildung führen.
Übung: Fokussiere mit deinen Augen einen Baum, ein Haus oder den Schatten auf der Straße vor dir. Das gibt dir Rückmeldung darüber, wie stark du hüpfst. Versuche, so zu laufen, dass dein anvisiertes Ziel nicht „auf und ab wippt“. Sei ganz ruhig und sacke beim Landen nicht in dir zusammen. Bleibe aufrecht. Übertreibe es absichtlich und springe ab und zu einige Meter wie ein Reh. Dann fühlst du, wie viel Energie so verloren geht. Die Auf- und Abbewegung bei einem guten Läufer beträgt kaum mehr als 5 Zentimeter.

Fehler Nr. 5: Deine Füße setzen nicht unter dem Körpermittelpunkt auf

Du setzt deine Füßen entweder vor oder hinter dem Körpermittelpunkt auf. Der Körpermittelpunkt befindet sich auf einer imaginären Achse, die vom Mittelpunkt des Kopfs senkrecht zum Boden führt. 5-run-1bis4-1024x682Diesen Fehler gleichst du aus, indem du den Oberkörper nach vorne oder hinten neigst. Das macht deinen Laufstil unruhig und instabil. Die orthopädische Belastung kann zu einer Überlastung der Fußaußenkante führen.
Übung: Setze den Fuß bewusst flach unter deinem Körper auf. Versuche, weder auf dem Fußballen noch auf der Ferse zu landen. Ziehe deine Zehen nicht nach oben, sondern versuche, den Fuß entspannt aufzusetzen und abzurollen.

Fehler Nr. 6: Deine Oberarme sind nicht nah genug am Oberkörper

Du kommst breit wie ein Bulldozer daher. Die Ellbogen schwingen weit außen an dir vorbei. Ein Grund für deine breite Armführung kann ein zu breiter Fußaufsatz sein. Die Füße sollten knapp neben deiner Körpermittelachse aufsetzen. Setzt du zu breit auf, hast du entweder O-Beine mit einer 6-run-1bis4-1024x682schlampigen Armarbeit, oder deine Armarbeit ist asynchron. Das heißt, deine schlechte Armarbeit stört die Balance. Um im Gleichgewicht zu bleiben, setzt du dann die Füße zu breit auf. Die orthopädische Belastung liegt in den Knien, weil zu viele Torsionskräfte auf das Gelenk einwirken. Beobachte deine Füße: Sie sollten parallel nach vorne schwingen.
Übung: Gehe auf die 400-Meter-Bahn und laufe absichtlich mit extrem schmalem Fußaufsatz so, dass sich deine Knie fast berühren. Schließe dabei für ein paar Sekunden die Augen. Du wirst fühlen, wie instabil das jetzt ist, weil dein normalerweise breiter Schritt dich nicht mehr im Gleichgewicht hält. Mache die Übung ein paarmal vor jedem Lauftraining. Dadurch wirst du lernen, im Fußbereich schlanker zu laufen, was dazu führt, dass du deine Arme näher an den Körper nehmen kannst.

Fehler Nr. 7: Du hast zu wenig Körperspannung

Du läufst stets im „Schlappschritt“. Du hast keine Spannung im Körper, bist so in dich zusammengefallen, dass du keinen Horizont siehst. Symbolisch gesprochen sagt dieser Laufstil, dass du ohne ein Ziel vor Augen läufst; das Laufen ist keine eigene Wahl, sondern wird dir von irgendjemandem „verordnet“. Die orthopädische Belastung liegt im unteren Rücken.7-run-1bis4-1024x682
Übung: Laufe mit nach oben ausgestreckten Armen, richte dich auf, und strecke deinen Rücken. Lasse die Beine einfach laufen. Als zweites kreise abwechselnd mit den Armen, während du mit aufrechtem Oberkörper läufst. Mache nur mit einem Arm den Armschwung, halte den anderen quer vor die Brust. Gerade bei langen Läufen, bei denen die Gefahr groß ist, in seiner Gedankenwelt zu versinken, ist es wichtig, ab und zu die hier vorgestellten Übungen einzustreuen. So kommt die Körperspannung zurück.

Das folgende Video von Roy erklärt noch mal, auf was man beim Laufen hauptsächlich achten sollte.

Fazit
Das Laufen als Disziplin spiegelt für mich am meisten wider, wie ich mich generell im Leben fühle: leicht, schwer, verletzt, beschwingt, motiviert, frustriert usw. Es ist die Disziplin, für die man am wenigsten Zeit braucht, um fit zu bleiben. Dazu reichen drei bis vier Stunden Training pro Woche. Laufen ist für mich aber auch die „Retter-Disziplin“. Wenn ich für eine längere Zeit nicht Radfahren und Schwimmen will oder kann, aber mit dem Lauftraining gut weitermache, kann ich nach der Schwimm- und Radpause sehr schnell wieder zu alter Form zurückfinden.

 

Roy_HinnenRoy Hinnen hat über 28 Jahre Erfahrung im Ausdauersport. Seine persönliche Bestzeit auf der Langdistanz liegt bei 8:35 Stunden, im Marathon bei 2:56 Stunden. Mit seinem Know-how als ehemaliger Triathlonprofi, Unternehmer und Produktentwickler setzt Roy Hinnen sein Wissen gezielt ein, um seine Kunden bestmöglich und individuell zu coachen. Mehr Infos auf der Coaching-Seite von Roy. Zudem bringt Roy Hinnen im Juli sein erstes Triathlonbuch „Triathlon total“ auf den Markt. Mehr Infos zum Buch findet ihr hier.

Fotos: Mirko Lehnen / mirko-lehnen.com