Laufen: so einfach und doch so schwer (Teil 2)

6-run-1bis41-1024x682Nachdem wir gestern von Roy Hinnen in Teil 1 erfahren haben, welche Faktoren den Laufstil eines Athleten beeinflussen, geht es heute etwas mehr ins Detail: Was sagt der Laufstil über mich aus und wie bin ich unterwegs: alleine oder in der Gruppe oder vielleicht mit Musik und wie gestalte ich meine Laufeinheit?

 

Dein Laufstil sagt viel über dich aus. Durch die Betrachtung des Laufstils kann ich als Coach schnell die innere Haltung des Athleten ablesen. Bei jemandem, der Stress und Druck hat, fallen die Schultern nach vorne. Wer tief in Gedanken versunken an ein Problem denkt, dessen Blick ist auf den Boden gerichtet. Gedanken beeinflussen den Fluss des Laufstils. Ich habe noch nie einen schlechten Laufstil bei einem Kind gesehen, denn es denkt nicht, sondern lacht und läuft. Erwachsenen ist diese Lockerheit meist verlorengegangen.

Ein paar Bemerkungen vorneweg
Etliche Läufer verletzen sich immer wieder. Ich führe das neben Fehlbelastung und Überlastung auch auf eine fehlende Körperspannung und „mentale Abwesenheit“ zurück. Es mangelt an innerer Stabilität, am Fokus auf eine korrekte Haltung. Viele Läufer…
•    … laufen mit Musik und schränken so ihre akustische Wahrnehmung ein. Sie können ihren Atem, den Rhythmus des Bodenkontaktes, die Natur usw. nicht hören.
•    … denken (zu) viel. Ihre Gesichter sind angespannt, und sie wirken verkrampft.
•    … schauen häufig auf den Boden, versenken sich in andere Dinge.
•    … haben selbst während lockerer Laufeinheiten keine Zeit, die Natur zu beobachten.
•    … reden ständig, wenn sie in der Gruppe laufen.
•    … sind von ihren GPS-Uhren abhängig, um zu laufen.
•    … sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einmal andere Läufer grüßen und schauen so missmutig drein, als hätte der Hausarzt sie geschickt und Joggen wäre eine Strafe.

Wie steht es um dein Material?

Laufen ist nun wahrlich kein teurer Sport. Dennoch gibt es Läufer, die ihre ersten Laufschuhe mit ins Grab nehmen. Ich verbrauche pro Jahr bei 2.000 Kilometern Laufen rund zehn Paar Schuhe. Nicht, weil die Schuhe sichtbar kaputt wären. Nein, einfach, weil jeder Schuh nach rund 200 bis 300 Kilometern an Stabilität und Führung verliert. Er wird  weicher, man verliert das Gefühl für Fuß, Schuh und Boden.
Frage dich also, ob dein Schrank Verbesserungspotenzial bietet!
•    Neue Schuhe. Es können gut und gerne drei verschiedene Paar von verschiedenen Herstellern sein. Trainiere abwechselnd in ihnen, um Druckstellen und Verletzungsgefahr zu reduzieren.
•    Bessere Socken. Sie schützen vor Blasenbildung und können dich im Schuh besser führen.
•    Gute Bekleidung. Gerade im Winter ist es wichtig, mit dem bestmöglichen Material zu laufen. Atmungsaktive Jacken und Unterwäsche sorgen für ein gutes Körperklima. Mit funktionaler Ausrüstung schwitzt du weniger, und die Erkältungsgefahr nimmt ab. Es können aber auch nur schickere Hosen sein, die deinen Körper unterstützen und zeigen, dass du 200 Gramm abgenommen hast. Schneller auszusehen ist erlaubt und motiviert.
•    Eine neue GPS-Uhr. Die neuesten Funktionen und eine individuelle Bildschirmeinstellung helfen dir, dein Lauftraining gut zu analysieren.

Wie ist dein Lauf-Umfeld?

In Kenia ist Laufen eine Mannschaftssportart. Häufig bestehen Laufgruppen aus zehn und mehr Läufern. Bei uns ist das anders. Die meisten laufen alleine, das spart Zeit und Nerven. Man kann einfach loslaufen und muss auf niemanden warten.
Trotzdem empfehle ich, sich regelmäßig mit besseren Läufern zu treffen, um in den Kerneinheiten mehr gefordert zu werden. Bei den längeren Einheiten kann es auch sinnvoll sein, einen ausgewählten Läufer zu fragen, ob er mitkommt: ein Läufer, der ein bestimmtes Tempo zuverlässig abrufen kann und dich damit vielleicht etwas fordert – oder auch bremst. In manchen Trainingseinheiten ist der kompetitive Gedanke sehr wichtig und förderlich, wie zum Beispiel bei Intervallläufen. In anderen Trainingseinheiten ist er aber schädlich, wie bei langen, ruhigen Läufen. Umgib dich im richtigen Moment mit den richtigen Partnern. Diese Kontakte zu pflegen, ist eine gute Investition.

Training auf dem Laufband

Das Laufband ist zum Trainieren ideal. Achte allerdings darauf, dass du an dem Laufband neben der Steigung auch das Gefälle einstellen kannst. Minus 2° sind ideal. Wenn du ein Laufband zu Hause hast, kannst du damit sehr effektiv das Koppeln lernen. Mache eine Einheit aus 5/5 Minuten: fünf Minuten auf dem Rad gefolgt von fünf Minuten auf dem Laufband. Lass die Laufschuhe auch auf dem Hometrainer oder der Rolle an. Springe nach fünf Minuten vom Rad und laufe fünf Minuten im Wettkampftempo mit einer Einstellung von minus 2°. Mache den Durchgang ohne Pausen vier bis sechs Mal pro Tag, eine Woche lang. Das nenne ich eine Koppel-Kette. Dieses Training verankert sich gut im Körper und du kannst dich dann wieder auf das normale Training besinnen.

Meine Regeln beim Laufen
Wenn ich fit bin, laufe ich gern in einer Gruppe. Wenn ich müde bin, gehe ich lieber alleine trainieren. An Tagen, an denen du dich nicht zu 100 Prozent fit fühlst, um in einer guten Gruppe zu laufen, wird es gefährlich.
•    Ich laufe ab und zu sehr früh am Morgen, wenn alle noch schlafen. Das gibt mir das Gefühl der Weite und Ruhe. Ich wähle solche Läufe, um bei wichtigen Entscheidungen in meinem Leben die richtige Stimmung zu haben.
•    Wenn ich länger als 60 Minuten laufen will, habe ich immer etwas zu Essen dabei. Ohne meine 200 kcal renne ich nicht los.
•    Ich wähle Strecken, die in der Nähe eines Baches oder Sees enden. Selbst im Winter genieße ich es, die Beine im eiskalten Wasser zu baden.
•    In den ersten Minuten laufe ich immer das gleiche Tempo an (zum Beispiel 5 min/km) und beobachte den Puls. Das gibt mir Aufschluss über meine Tagesform. Bestimme dein Anlauf-Tempo, prüfe jedes Mal den Puls und entscheide dann jeweils über die Art des Trainings.
•    Ich kaufe alle acht bis zehn Wochen neue Laufschuhe und empfehle, nicht mehr als 400 Kilometer mit einem Paar zu laufen. Vor dem Lauf trinke ich einen halben Liter Wasser, um wie ein Kamel das Speichern von Wasser zu üben, was bei Rennen in großer Hitze ein Vorteil sein kann.
•    Ab und zu laufe ich Regenerationsläufe in der Nacht, schleiche sozusagen für 30–45 Minuten um die Häuserecken. Nachts zu laufen hat etwas Mystisches und ist, was das Tempogefühl angeht, ganz anders als am Tag. So bekommt das Laufen einen anderen Blickwinkel – langsam laufen in der Nacht ist einfacher und genussvoller als am Tag.

 

Roy Hinnen hat über 28 Jahre Erfahrung im Ausdauersport. Seine persönliche Bestzeit auf der Langdistanz liegt bei 8:35 Stunden, im Marathon bei 2:56 Stunden. Mit seinem Know-how als ehemaliger Triathlonprofi, Unternehmer und Produktentwickler setzt Roy Hinnen sein Wissen gezielt ein, um seine Kunden bestmöglich und individuell zu coachen. Mehr Infos auf der Coaching-Seite von Roy. Zudem bringt Roy Hinnen im Juli sein erstes Triathlonbuch „Triathlon total“ auf den Markt. Mehr Infos zum Buch findet ihr hier.

Fotos: Mirko Lehnen / mirko-lehnen.com