Haero Carbon: seriöse Messwerte wirken Marketing-Halbwahrheiten entgegen

Speichen, Tri-/Four-/Fivespokes, Scheiben, unterschiedlichste Profilhöhen und Felgenbreiten sowie Bremsflanken aus Carbon oder Aluminium. Im Laufradsektor hat der Kunde die Qual der Wahl.

 

In Kombination mit der verbauten Nabe, der Bereifung, der Bremsbeläge und dem Bremssystem existieren nahezu unendliche Kombinationsmöglichkeiten für das perfekte Set-up für den persönlichen Einsatz im Training und Wettkampf. Wir haben uns mit Christoph Härer, Geschäftsführer der haero carbon GmbH, unterhalten.

Herr Härer, immer wieder präsentieren Laufradhersteller im Windkanal oder auf der Radrennbahn die Messwerte, beispielsweise erzielten Watteinsparungen oder den Strömungswiderstandskoeffizienten. Was im Labor unter idealen Bedingungen erreicht wird, sieht auf der Straße häufig ganz anders aus, wenn die Witterungsbedingungen und der Streckenverlauf der vermeintlich perfekten Kombination einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Kann man sich diesen – sicherlich auch sehr teuren – Aufwand nicht schenken?
Grundlegend halte ich es für richtig und sinnvoll, das Materialthema wissenschaftlich zu untersuchen. Nur so ist es möglich, durch seriös abgeleitete Messwerte den marketingrelevanten Halbwahrheiten entgegenzuwirken. Zusätzlich kristallisiert sich darüber hinaus auch schnell ein vernünftig einzuschätzendes Preis- / Leistungsverhältnis heraus.

Was sind im Rahmen der Entwicklung eines Laufrades die technisch größten Herausforderungen beim Design, der Entwicklung des Prototypen, den ersten Testfahrten und der finalen Umsetzung?
Bis jetzt entwickeln wir selbst noch keine eigenen Laufräder. Der Markt ist voll davon und es gibt bereits sehr gute Produkte.

Welche Rolle spielen  die verwendeten Materialien Aluminium, Karbon und weitere Werkstoffe?
Im Carbon-Bereich ist vor allem das Bremsverhalten der Felge sowie die Wärmentwicklung beim Bremsen das anspruchsvollste Thema für die Entwicklung. Inwieweit diese Thematik auch in Zukunft von Bedeutung ist, wird uns der mögliche Einzug der Disc-Bremse zeigen.

Aber auch die Bereifung spielt eine wichtige Rolle. Welcher Reifen – Schlauchreifen, Clincher oder Tubeless? – in welcher Breite sollte bei welchen Umgebungsvariablen zum Einsatz kommen?
Ich empfehle ausschließlich Clincher – da dieser im Falle einer Panne schnell selbst repariert werden kann. Hinsichtlich der Reifenwahl empfehle ich als Vorderreifen einen Conti 4000 SII in 23mm und als Hinterreifen einen Conti TT in 25mm. Laut Labortests die besten Aero-Werte und mit dem Conti TT top Rolleigenschaften.

Die Triathlonszene diskutiert über die Sinnhaftigkeit von Scheibenbremsen an einem Zeitfahrrad ebenso kontrovers wie emotional. Welche technischen und aerodynamischen Kriterien sind in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen?
Ich möchte die Antwort auf die Mittel- und Langdistanz geben – wer bremst bei diesem Format? Es handelt sich um Einzelzeitfahren mit überwiegend einfach zu kalkulierenden Bremssituationen. Daher sehe ich in der Scheibenbremse keinen zwingenden Mehrwert für das Triathlon-Setup.

Triathleten achten bei der Wahl ihres Equipments penibel auf jedes Gramm. Welche Bedeutung hat das Gewicht eines Laufrades im Gesamtkonstrukt „Mensch – Zeitfahrmaschine“ hinsichtlich der angestrebten Bestzeit?
Ich würde sagen, dass das Gesamtgewicht des Setups im Triathlon nicht ausschlaggebend ist. Mir liegen diesbezüglich jedoch keine seriösen Angaben vor. Gleichwohl ist es bekannt, dass bei einem Bergzeitfahren das Gesamtgewicht (Maschine und Fahrer) in Bezug auf die aufzuwendende Leistung (Watt) eine wichtige Rolle spielt. Jedoch auf ein Einzelzeitfahren von 180 Kilometer innerhalb eines Ironman mit einem Höhenprofil zwischen 850 – 1200 Höhenmeter kann dies keine entscheidende Rolle spielen. Dieser Ansatz steht synonym für den Laufradsatz.

Sollte bei der Entwicklung neuer Zeitfahrkonzepte nicht die herstellerübergreifende Zusammenarbeit zwischen Rahmenbauer und Laufradproduzent verstärkt werden – wie es im Bereich Cockpit, Nutrition-Versorgung und Aufbewahrung von Ersatzteilen schon üblich ist?
Ich denke, dass diese Entwicklung bereits eingesetzt hat. Ganz zum Leidwesen von Individuallösungen.

Triathleten wird nachgesagt, dass sie nicht so gut Rad fahren können. Gerade die neuesten Zeitfahrräder bieten bei böigen Seitenwinden – besonders in Kombination mit Hochprofillaufrädern – eine sehr große Angriffsfläche. Eignen sich diese Lösungen somit nur noch für diejenigen, die fahrerisch in der Lage sind, das Rad bei allen Bedingungen zu beherrschen?
Die Frage ist schwer zu beantworten, zumal ich auch selbst noch keinen dieser Boliden gefahren bin. Außer marketingrelevanter Statements gibt es noch nicht viel Erfahrungswerte.

Inwieweit binden Sie Profis, Altersklassenathleten und Händler in den Entwicklungsprozess eines neuen Laufrades ein, und welche Aufgaben werden von ihnen übernommen?
Ich habe einen sehr engen Draht zu Profi Athleten (Laura Philipp) und diversen ambitionierten Altersklassen-Athleten. Der daraus entstehende Erfahrungsmix fließt unter anderem in die Zusammenstellung des gesamten Setups ein und ist der Wegweiser für zukünftige Eigenentwicklungen.

Interview: Klaus Arendt