Warum ein Wattgesteuertes Radtraining Sinn macht

Mario Schmidt-Wendling – Sportwissenschaftler, Ex-Radprofi und Coach – stellt sich unseren Fragen zum Thema Radtraining mit Wattwerten: Warum ist es generell sinnvoll mit Powermeter zu trainineren und was ist ein FTP-Test bzw. wie funkioniert er?

Was bringt einem Athleten der Einsatz eines Wattmessers auf dem Fahrrad?
Der Wattmesser stellt eine Möglichkeit der objektiven Leistungsbestimmung dar. Unabhängig von Wind- und Wetterverhältnissen kann man in Echtzeit die erbrachte Leistung in Zahlen sichtbar machen. Die Steuerung beziehungsweise die Trainingsvorgabe via Herzfrequenz ist weitaus weniger praktikabel, denn

  1. die HF reagiert träge und zeitversetzt auf die zuvor erbrachte Leistung. Das macht das Training von Intervallen recht schwierig, denn um die Ziel-HF zu erreichen, muss man unter Umständen exorbitant hohe Wattleistungen zu Beginn des Intervalls fahren.
  2. die HF ist von vielen externen Faktoren  wie zum Beispiel Ernährung, Schlaf, Stress, Wetter etc. abhängig und unterliegt natürlichen Tagesschwankungen. Wenn ein Sportler heute mit HF 140 und 200 Watt unterwegs ist, so kann er eventuell am nachfolgenden Tag ebenfalls 200 Watt mit nur 130 oder 150 Schlägen/min erreichen.

Man sollte die HF daher immer im Kontext zur Leistung in Watt betrachten, um Rückschlüsse auf Trainingsadaptationen bzw. beginnende Infekte oder Übertraining zu erhalten. Kurzum, man kann den Wattmesser als ähnliches Instrument wie die GPS-Uhren für das Laufen werten.

Warum muss man kein Profi sein, um von einem Wattmesser zu profitieren?
Mittlerweile gibt es ausreichend Studien zu diesem Thema, die man auch als Nicht-Sportwissenschaftler in den gängigen Magazinen, Foren etc. verständlich nähergebracht bekommt. Früher war das wattgesteuerte Radtraining einem kleinen elitären Kreis von Profi-Athleten vorbehalten. Durch die Vielzahl der Geräte auf dem Markt und dem letztendlich gefallenen Anschaffungspreis, wird das Thema immer mehr für Hobbysportler zugänglich. Allerdings sollte man schon genau hinschauen, denn nicht jedes System liefert immer präzise und konstante Werte. Die Anschaffung eines guten Wattmess-Gerätes rechnet sich über die Jahre, denn eigentlich sind die Systeme relativ wartungsarm und der Sportler kann sie über die Zeitdauer einer Saison hinweg regelmäßig nutzen.
Im Hobbysport seh ich den größten Nutzen darin, dass die Sportler die unterschiedlichen Trainingsbereiche (GA1, GA2 etc.) objektiv messen können. Um jedoch in eine nicht allzu große „Abhängigkeit“ der Technik zu geraten, empfehle ich regelmäßige Trainingseinheiten ohne Powermeter, um ein richtiges Gespür für die subjektive Belastung zu entwickeln. Diese zu fixiert zahlenorientierte Sicht auf den Sport hat sich in den letzten Jahren zusehends im Triathlon etabliert.

Ist ein Wattmesser auch ohne Coach und regelmäßige Leistungsdiagnostiken auf dem Fahrrad sinnvoll?
Ich bin kein allzu großer Freund von Leistungsdiagnostiken, denn letztendlich stellen diese immer nur eine Momentaufnahme dar. Ähnlich wie bei dem Aspekt der Steuerung über den Parameter Herzfrequenz, sind diese Tests sehr stark von außen beeinflußbar. Für viele Sportler stellt ein solcher Test eine immense Stress-Situation dar, insbesondere dann, wenn eine sogenannte Spiroergometrie mit Atemgasmaske absolviert wird. Wenn der Sportler den Test zudem auf einem Ergometer, also nicht auf seinem eigenen Rad und mit seinem eigenen Powermeter, absolviert, dann passen oftmals weder Sitzposition noch Wattwerte für den nachfolgenden Transfer der Werte in den Trainingsalltag. Für mich ist die Aussagekraft eines solchen Labortests daher zu hinterfragen. Ich bevorzuge eher Feldtests, die man mit dem eigenen Rad unter Realbedingungen durchführen kann, sogenannte Funktional Threshold Power-Tests, kurz FTP.

Wie funktioniert ein FTP-Test genau?
Die FTP beschreibt die Leistung, die man maximal über eine Stunde realisieren kann. Die Testdauer über 60 Minuten ist jedoch ziemlich lang und stellt eine Belastung, insbesondere zu Trainingsbeginn nach der Off-Session dar. Als praktikabler haben sich 20-minütige Tests erwiesen. Hunter Allen, der „Erfinder“ dieses Tests gibt folgenden Testaufbau vor: Ziel ist es, in dem 20-minütigen Test den höchsten Leistungsdurchschnitt über die gesamte 20-minütige Dauer herzustellen. Es ist kein guter Test, wenn man diesen zu schnell angeht, explodiert und nicht in der Lage ist, seine tatsächliche maximale gleichmäßige Leistung zu produzieren. Es ist immer besser, in den ersten 2 Minuten etwas unter dem zu bleiben, wovon man glaubt, dass es die jeweilige FTP ist, dann langsam aufzubauen und in den letzten drei Minuten maximal zu fahren.

Testprotokoll:
-20 Minuten Warm-Up: Beginn mit einem 20-minütigen Aufwärmen, moderate Geschwindigkeit bis circa 65 Prozent der maximalen Herzfrequenz bezieungsweise der sogenannten Ausdauerleistung.

-3 Minuten Trettests: Drei Mal je eine Minute schnelle Trettests mit 100 Umdrehungen pro Minute mit jeweils einer Minute Erholungspause um die Muskeln auf die Anstrengung vorzubereiten.

-5 Minuten Rollen: Noch mal 5 Minuten locker mit 65% der maximalen HR fahren. Dann beginnt der eigentliche Test.

-5 Minuten Höchstleistung: Angreifen und durchhalten! Mit hohem Tempo starten, aber sicherstellen, dass man diese 5 Minuten überhaupt mit dieser Leistung zu Ende fahren kann. Man sollte sich eine kleine Reserve lassen, um in der letzten Minute zur Ziellinie zu spurten. Das Ziel dieser Übung hat zwei Aspekte: Einmal sollen die Beine für die nächsten Leistungen vorbereitet werden, zum anderen soll ein Blick auf die Fähigkeit ermöglicht werden, Leistung zu produzieren, was VO2 max. (maximale Sauerstoffaufnahme) Power genannt wird. Diese 5-Minuten-Anfangsanstrengung sorgen dafür,  dass man die anfängliche „Frische“ verliert, sodass man bei der nächsten Anstrengung die tatsächliche repräsentative FTP produzieren kann, also eine Art „Drehzahlbegrenzer“.

-10 Minuten leichte Dauerleistung: bei 65 Prozent der maximlaen HF.

-20 MIinuten ZEITFAHREN: Man sollte auf einer möglichst ebenen Straße oder auf der Rolle diesen Test absoliveren, damit die gesamten 20 Minuten lang eine gleichmäßige Leistung erbracht werden kann.

-10-15 Minuten Ausrollen bei deiner Dauerleistung oder 65% der maximalen HF.

Was mache ich mit den Werten aus einem FTP-Test und wie kann ich damit mein Radtraining sinnvoll und effektiver gestalten?
Im Anschluß an den Test nimmt man den Durchschnittswert in Watt für den 20 Minuten Abschnitt und multipliziert diesen mit Faktor 0,95. Dieser Wert, quasi eine Art Abschlag, entspricht dann der realistischen Stundenleistung.

Hunter Allen gibt dann zur Berechnung der jeweiligen Trainingsbereiche folgende Formeln vor:

Kompensationsbereich: <55% der FTP
Grundlagenausdauer (GA1) 56-75% der FTP
Grundlagenausdauer 2 (GA2): 76-90% der FTP
‚Entwicklungsbereich: 91-105% der FTP‘
Spitzenbereich: 106-120% der FTP

Ich habe jedoch über die Jahre hinweg etwas bessere Erfahrungen für Langdistanz-Triathleten mit etwas modifizierten Bereichen im GA1 und GA2 gemacht, da sich einfach zeigt, dass es eine Art Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit im aeroben und anaeroben Bereich bei „Dieselmotoren“ gibt. Hierzu gibts aber keine Studien, das ist reine Empirie meinerseits.

Wie nutzt du deinen Wattmesser und was sind deine Erfahrungen als Coach?
Ich selbst blicke auf mittlerweile 19 Jahre powermeter-unterstützes Radfahren zurück. Zu Beginn hab ich die Sinnhaftigkeit nicht so ganz begriffen, habe mich dann aber relativ schnell in diese Materie eingelesen, erste Selbsttests durchgeführt und „hänge seitdem an der ‚Nadel’“.
Der Powermeter ist für mich das wirkungsvollste Tool im Arsenal eines Triathleten, denn leicht wiederholbare FTP-Tests dienen zur Analyse der Leistungsentwicklung. Die darauf ermittelten Werte sorgen für einen adäquaten Trainingsreiz und  gerade für unerfahrene Athleten auf der Langdistanz ist der Wattmesser eine große Stütze, um beim Radfahren nicht zu überpacen. Wer dann noch eine gute Ernährungsstrategie verfolgt, wird am Ende auch noch schnell laufen.

Interview: Meike Maurer
Foto: privat