Christine Schleifer, Sebastian Kienles Ehefrau, begleitet Sebi seit den Anfängen seiner Profikarriere. Als tritime-Kolumnistin gibt Christine einen Einblick in die Gedankenwelt eines der weltbesten Triathleten der Gegenwart.
Das Ergebnis vom Ironman Frankfurt dürfte den Meisten bekannt sein. Dennoch möchte ich den Tag aus meiner Perspektive nacherzählen.
3:00 Uhr: der Wecker klingelt. Speziell für Sebi war es eine kurze Nacht. Vor Rennen liegt er zwar schon früh im Bett, schläft aber meist erst spät ein. Das ist jedoch nicht so schlimm, da die letzte Nacht vor einem Rennen nicht entscheidend ist. Wichtiger ist ausreichend Schlaf in der Nacht von Freitag auf Samstag. Für gewöhnlich bin ich ein sehr guter Frühstücker, aber am Rennmorgen bringe ich für gewöhnlich kaum einen Bissen hinunter. So nervös bin ich. Wesentlich nervöser, als wenn ich selbst an der Starlinie stehe. Vermutlich ist mein Ruhepuls sogar höher als der von Sebi. Im Gegensatz zu ihm trage ich jedoch keine Pulsuhr. Meine Nervosität legt sich erst, wenn Sebi die Ziellinie überquert hat. Der gute Live-Stream, den es in Frankfurt gibt und das schnelle LTE-Internet, das wir unterwegs haben, helfen mir. So kann ich Sebi fast während des gesamten Rennens im Auge behalten. Bei vielen Rennen, so auch auf Hawaii, ist es oft schwierig vom Rennverlauf etwas mitzubekommen. Die Fernsehzuschauer zu Hause sind häufig besser informiert als wir vor Ort. Das ist übrigens auch die Erklärung dafür, warum Sebi 2014 auf Hawaii auf den letzten Kilometern beim Marathon recht aggressiv auf unsere Zurufe reagiert hat. „So ungefähr fünf Minuten Vorsprung“ war nicht das, was er von Lubos und mir hören wollte. Genauer konnten wir es ihm auf Grund des großen Vorsprungs aber nicht sagen…
Rennauftakt
Pünktlich zur Öffnung der Wechselzone sind Sebi und ich am Langener Waldsee. Seit ich Sebi zu Rennen begleite, ist er am Renntag stets einer der Ersten in der Wechselzone. Als er mit der finalen Vorbereitung des Rads und ersten Interviews fertig ist, trifft sich traditionell das Kern-Team der Sebi-Supporter. Neben mir sind das Lubos, Micha und Franky. Mit dem Startschuss beginnt auch für Lubos und mich der Kampf gegen die Uhr. Unsere Route mit dem Auto ist in jahrelanger Erfahrung bestens erprobt und wurde von Jahr zu Jahr weiter optimiert: fünf- bis sechsmal können wir die Männerspitze auf dem Rad sehen und Zwischenstände durchgeben. Auf dem Livestream, den nebenher auf dem Smartphone lläuft, können wir erkennen, dass Sebis Wettkampfeinteiler offen ist. Uns ist sofort klar, dass das nicht den Außentemperaturen geschuldet ist. Sebi würde im Rennen auf dem Rad niemals den Reißverschluss öffnen, egal wie heiß es ist. Oft genug hat er mir erklärt, dass das mindestens eine Minute Zeit kostet und wie viel Watt Mehrleistung erforderlich sind. Daran, dass er uns deswegen nichts zubrüllt, als er uns am Streckenrand entdeckt, wissen wir, dass er „gute Beine haben muss“. Unsere gute Laune ist trotzdem etwas getrübt. Lubos und ich werden um die fest eingeplante, gemütliche Frühstückspause bei „unserem“ Bäcker in Bad Vilbel gebracht – „heute geschlossen“ prangt in diesem Jahr an der Tür!
Zweiter Wechsel
Auf dem Rückweg kommen auch Lubos und ich kurz ins Schwitzen – ein Stau infolge eines brennenden Autos auf der Autobahn bremst uns aus und wir haben Zweifel, dass wir es nicht rechtzeitig zum zweiten Wechsel schaffen. Wir haben Glück und nach einem kurzen Stopp im Hotel geht es auch für uns pünktlich auf die Laufstrecke. Für Lubos ist die Situation mit zwei Athleten in Front sehr komfortabel, für mich nicht ganz so. Ich weiß, dass Andi in Führung liegend nicht zu unterschätzen ist. Durch die lautstark jubelnden Zuschauermassen, welche die Laufstrecke am Main inzwischen bevölkern und die „Coaching Regel“, nach der es uns nicht erlaubt ist nebenher zu rennen, kann Sebi unsere Informationen mit den Abständen zur Konkurrenz kaum oder gar nicht verstehen. Er brüllt laut „was?“. Dafür kann ich ihn eingangs der ersten Runde sehr gut hören, als er mir zuruft, dass er einen Platten hatte. Als ich sein Rad abends aus der Wechselzone hole, ist der Vorderreifen komplett platt – da hatte Sebi wirklich verdammt Glück (im Unglück), dass er es noch bis in die Wechselzone geschafft hat! Den kleinen Rückstand, den er sich eingehandelt hat, kann er schnell egalisieren und die Führung übernehmen. Auch wenn Sebi sich seiner guten Laufform bewusst ist und der Vorsprung komfortabel erscheint, kommen auf der letzten Runde Zweifel auf, ob von hinten nicht doch noch Gefahr droht. Er weiß, dass man sich auf der Langdistanz nie „sicher“ sein kann und darf man. Auf den letzten (Kilo-)Metern kann noch so viel passieren. Erst auf dem roten Teppich Richtung Römer kann Sebi die Stimmung genießen und sich von den feiernden Zuschauern Richtung Ziel tragen lassen.
Kurze Feier im kleinen Kreis
Nach kurzem Jubel gibt er sich für einen kurzen Moment seiner Müdigkeit hin und legt sich im Zielkanal auf den Boden. Viele Zuschauer machen sich immer Sorgen, wenn sie das sehen. Für mich ist das keine besorgniserregende Situation. Ich weiß, dass Sebi sich schon während des Rennens darauf freut sich nach Überqueren der Ziellinie einfach kurz hinzulegen zu können. Nach einem Siegerküsschen und ein paar Flaschen kaltem Wasser ist er bereit die Platzierten zu begrüßen und sich fürs Erste den Fragen der Journalisten zu stellen. Gegen 18:30 Uhr sind wir nach einem langen Tag endlich im Hotelzimmer. Uns bleibt nur kurz Zeit uns frisch zu machen, denn im Hotelrestaurant wollen wir in kleiner Runde Sebis Europameistertitel mit einem gemeinsamen Abendessen feiern. Viel Zeit zum Verweilen haben wir nicht, denn schon bald müssen wir wieder los: zur Finish Line-Party und zum Rad-Check-Out. Ich ziehe viele Blicke auf mich als ich Sebis „Scotty“ Richtung Auto schiebe – muss am Rad und der Startnummer 1 liegen. Meine Nummer 1 wartet schon auf mich. Es ist 23 Uhr als wir endlich im Hotel sind und uns hinlegen können. Während mir sofort die Augen zufallen und ich, völlig geplättet, nach ungefähr 20 Sekunden einschlafe, liegt Sebi – wie nach jedem Langdistanz-Rennen – noch stundenlang wach. Er ist noch immer völlig „aufgedreht“ und die Impressionen dieses langen, ereignisreichen Tages lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Text: Christine Schleifer
Zielfoto: Isaak Papadopoulos (weitsprung.de)
Radfoto: Klaus Arendt