Ein von Geburt an fehlender linker Unterarm hält Martin Schulz nicht davon ab, sich mit internationalen Topathleten in der 1. Triathlon Bundesliga zu messen. Ein Rennformat, das keine Rücksicht auf ein Handicap nimmt.
Ganz im Gegensatz zu Wettkämpfen speziell für Paratriathleten. Martin Schulz ist in beiden Formaten sehr erfolgreich – sein großes sportliches Ziel: die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro.
Das erste Mal fiel mir Martin Schulz beim letztjährigen Rennen der 1. Triathlon Bundesliga im Kraichgau auf. „Wie krass“, schoss es mir sofort durch den Kopf. Denn jeder, der die Bundesliga kennt oder schon einmal selbst an den Start gegangen ist, weiß, dass einem dort überhaupt gar nichts geschenkt wird. Wer nicht topfit ist, nicht schnell genug schwimmt beziehungsweise sich im Wasser und auf dem Rad nicht zur Wehr setzt, sieht beim Laufen nur noch das Feld von hinten. Nicht aber (Para-)Triathlet Martin Schulz, der in einem großen Radpulk an mir vorbeirauscht. Respekt. Vor dieser Leistung und Willenskraft ziehe ich den Hut.
Der 25-Jährige selbst sieht die Ligarennen als große Chance, sich in seinem Sport weiterzuentwickeln. „Ich messe mich gerne mit den besten Nichtbehinderten, obwohl ich natürlich weiß, dass es nicht für ganz nach vorne reichen wird. Aber es reizt mich, zu testen, wie weit ich kommen kann. Mich freut es aber auch, von Topleuten Lob und Anerkennung für meine sportlichen Leistungen zu bekommen“, erklärt Martin. Und das bekommt er definitiv! DTU-Bundesnachwuchstrainer Thomas Moeller, der mit ihm und der Juniorennationalmannschaft auch schon am Triathlonstützpunkt in Kienbaum trainierte, sagte mir bereits vor dem Treffen mit Schulz: „Martin ist einfach klasse! Mein Respekt für ihn und auch der der Athleten ist extrem hoch.“ Damit alleine gibt Martin sich aber nicht zufrieden. „2014 war ich unter anderem beim Schwimmen etwas mehr gehandicapt als sonst, da ich erst eine Verletzung auskurieren musste und meine Schwimmleistungen daher nicht so gut waren. 2015 soll das besser werden, dann möchte ich für meine Mannschaft, dem Bike 24 TriTeam Mitteldeutschland, ein Ergebnis in der vorderen Hälfte bringen.“
Ein Tattoo, das nie aus der Mode kommt
Auch bei unserem Treffen in Leipzig Ende Dezember 2014 bestätigte sich mein erster Eindruck aus dem Kraichgau. Martin ist ein Kämpfer, ein Triathlet mit Biss und ein wirklich lebensfroher Typ. Er selbst identifiziert sich auf jeden Fall auch mit seiner Rolle als Paratriathlet. Für mich ist der durchtrainierte junge Mann mit seinen leuchtenden blauen Augen ein großartiger Sportler, von dem sich manch einer eine dicke Scheibe abschneiden könnte. Umgänglich, begeisterungsfähig, ehrgeizig und fokussiert! Er strahlt einfach eine positive Aura aus. Ein weiteres Indiz dafür, dass er sich voll und ganz als Paratriathlet fühlt, zeigt ein Tattoo, denn er trägt das Symbol der Paralympics auf seinem Oberkörper. „Die drei geschwungenen Linien in Rot, Blau und Grün gefallen mir super. Sie stehen für Body, Mind und Spirit und können nie aus der Mode kommen“, sagt Martin mit ein wenig Stolz in seiner Stimme. Ich gebe ehrlich zu: Normalerweise überzeugen mich Tattoos nur selten, aber die Form, Farbe und Aussage passen wirklich außergewöhnlich gut zu seinem Träger.
Triathlet mit Kämpferherz
Dass der Athlet vom BV Leipzig nicht so schnell aufgibt, hat er schon als kleiner Junge bewiesen. Das Tragen einer Prothese lehnte er schon damals ab, und auch heute möchte er quasi ohne Hilfsmittel seinen Alltag meistern und seinen Sport bestreiten. „Ich musste mich immer etwas mehr beweisen als alle anderen, aber der Sport hat mich stark gemacht!“ Lediglich beim Radfahren kommt eine Stütze am Lenker zum Einsatz, um die Sturzgefahr zu reduzieren. Die Bremse und Schaltung funktionieren wie an jedem anderen Fahrrad auch. „Ich bremse nur rechts, allerdings betätige ich dadurch die Bremse vorne und hinten. Bei den Bundesligarennen fahre ich ein ganz normales Rennrad. Das heißt, wenn ich auf das kleine Kettenblatt schalten möchte, muss ich den Lenker loslassen und mit meiner gesunden Hand umgreifen, um an den linken Schalthebel zu kommen“, erkärt er und demonstriert zeitgleich routiniert die Abläufe auf dem Fahrrad.
„Beim Paratriathlon ist das einfacher, da benutze ich eine Zeitfahrmaschine mit Elektroschaltung. Das ist erlaubt, da ein Windschattenverbot herrscht“, beschreibt Martin und spricht über seine Situation auf dem Rad. „Da ich mich nur mit meiner rechten Hand festhalten kann, habe ich bei Antritten beziehungsweise im Wiegetritt folglich einen kleinen Nachteil, da ich nicht mit voller Kraft am Lenker ziehen kann.“. Mit einem befreundeten Orthopäden und Förderer hat er zudem lange an einem optimalen Prothesenschaft und einer stabilen Befestigung am Lenker getüftelt. „Wenn ich meinen Arm anspanne, sitzt er fest. Dadurch bin ich im Falle eines Sturzes frei“, erläutert der Paratriathlet. Eine feste Prothese am Arm kommt für Martin auch heute nicht infrage, obwohl Ärzte ihm das Tragen einer solchen Prothese – zur Vermeidung von Dysbalancen – stets empfohlen haben. „Ich hatte nie ein Problem damit, keine zu tragen. Im Alltag nicht und beim Sport habe ich mir meist eine eigene Technik angeeignet. Zum Beispiel beim Klettern oder beim Kiten – das geht durchaus. Beim Mountainbiken nervt es allerdings, da mich mein fehlender Unterarm hier schon etwas einschränkt. Was ich übrigens gar nicht kann, ist Bogenschießen! Das ist mir während einer Vereinsweihnachtsfeier aufgefallen, aber das ist tatsächlich nicht so schlimm“, sagt Martin und grinst. Korrekt ist aber auch, dass der Wahl-Leipziger mehr Ausgleichtraining absolvieren muss, um seine linke Schulter zu kräftigen und die einseitige Belastung und ein dadurch höheres Verletzungsrisiko durch den fehlenden linken Unterarm auszugleichen.
Warum ausgerechnet Schwimmer?
Eigentlich ist es ja paradox, mit einem fehlenden Unterarm ausgerechnet auf die Idee zu kommen, im Schwimmsport durchzustarten. Dafür gibt es aber eine einfache Erklärung. Als 6-Jähriger begann Martin, zu schwimmen, da seine Eltern die Sorge hatte, dass er die Schwimmprüfung in der Schule aufgrund seines fehlenden Unterarmes nicht bestehen würde. Das Gegenteil war allerdings der Fall: Martin stellte sich äußerst geschickt an und hatte Spaß an der Bewegung im Wasser. Er ging zum örtlichen Schwimmverein. Hier erkannten die Trainer schnell, dass der Junge mit nur einem Arm viel Talent besaß und häufig schneller als seine nichtbehinderten Altersgenossen war. Mit 14 Jahren wechselte er von seinem Heimatort Döbeln nach Leipzig, um sich im dortigen Sportgymnasium weiter aufs Schwimmen zu konzentrieren. Seine Zeiten beweisen, dass dies keine Fehler war. Auf der Kurzbahn schwamm Martin auf 100 Metern schon 57,9 Sekunden, auf 400 Metern liegt seine Bestzeit bei 4:28 Minuten und 17:47 Minuten auf 1.500 Metern. Das muss man einen Moment sacken lassen, dann reflektiert man: Das ist verdammt schnell.
2012: Paralympics London
Martin Schulz ist ein sehr ausgeglichener Athlet. Probleme bereiten ihm lediglich technisch sehr anspruchsvolle Radstrecken. Erst seit London 2012 hat sich Martin voll und ganz dem Triathlonsport verschrieben. „Mein großes sportliches Ziel waren schon immer die Paralympics. Daher habe ich mich lange viel mehr auf den Schwimmsport konzentriert als auf den Triathlon. Erst als 2010 sicher war, dass der Triathlon ab 2016 bei den Paralympics als Sportart aufgenommen würde und ich es geschafft hatte, als Schwimmer in London 2012 dabei zu sein, sattelte ich komplett auf Triathlon um“, so erklärt er seinen sportlichen, durchdachten Fahrplan. Olympia ist für jeden Sportler das Ziel aller Ziele. So auch für Martin. „London war ein Wahnsinnserlebnis für mich. Im olympischen Dorf drehte sich alles um den Sport. Wirklich alles wurde für uns Sportler passend gemacht. Das Interesse der Medien war extrem hoch. Das gibt einem unglaublich viel zurück“, erzählt der Athlet aus Döbeln, das zwischen Leipzig und Dresden liegt. Allein seine Erlebnisse aus London würden den Rahmen dieses Portraits sprengen. Dass ihn die Erfahrungen in London geprägt und motiviert haben, ist ohne Frage, das merkt man schon daran, wie er in seinem winzigen Studentenzimmer auf einem Sofa mit „London 2012“-Überzug sitzt und seine Augen beim Reden leuchten und das Dauergrinsen bis über beide Ohren einfach nicht aufhören will.
Metamorphose zum Triathleten: Erfolg mit Plan
Als Schwimmer gelang es Martin Schulz bereits, an den Paralympics teilzunehmen. Als Triathlet ist er – mit 15 Jahren absolvierte er seinen ersten Triathlon – mittlerweile mindestens genauso erfolgreich. Zahlreiche Medaillen und Pokale, die sich in seinem Zimmer am Fenstersims und in den Regalen türmen, sind Beweise genug. Bei der Weltmeisterschaft im kanadischen Edmonton im vergangenen Jahr erkämpfte er sich zum zweiten Mal Weltmeisterschaftsgold. Davor konnte er in Kitzbühel bereits seine dritte EM-Goldmedaille sein eigen nennen. Aufgrund dieser konstanten Leistungen und der außergewöhnlichen Erfolge der letzten Jahre gehört Martin mittlerweile dem A-Kader der Paratriathleten an. Und auch der Deutsche Behindertensportverband berief ihn ins Top-Team für Rio, was eine zusätzliche finanzielle Unterstützung für ihn bedeutet. Auch sonst scheint Martin Schulz gerade in einer sehr positiven Lebensphase zu stecken. Sportlich liegt ihm die Welt zu Füßen, aber auch im Beruf steht er mit der gerade als Bürokaufmann mit der Zusatzqualifikation Sport- und Fitnesskaufmann abgeschlossenen Lehre auf eigenen Beinen. In seiner Ausbildungszeit bei den Stadtwerken Leipzig profitierte er von den flexiblen Arbeitszeiten seines Arbeitgebers, der ihn dadurch als Sportler unterstützte und förderte. Bereits vor Beendigung der Ausbildung erhielt Martin ein Jobangebot der Stadtwerke im Bereich Gesundheitsvorsorge, das ihm auch künftig ermöglicht, Leistungssport zu betreiben. Und dennoch träumt Martin einen großen Traum: „Triathlon ist mein Leben! Es wäre schön, irgendwann davon meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, auch um mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben!“
All seine Erfolge haben ihn seinem großen Ziel, die Paralympics in Rio de Janeiro 2016, nähergebracht. „Bis Rio möchte ich natürlich auch noch deutlich schneller werden“, sagt Martin mit vollem Tatendrang, und seine blauen Augen fangen wieder an, erwartungsfroh an zu leuchten.
Quelle: tritime | Leidenschaft verbindet: Ausgabe 2-2015
Text: Meike Maurer
Fotos: Mirko Lehnen | mirko-lehnen.com