
Platz 4 in Melbourne und Rang 2 auf Lanzarote sicherten Christian Kramer mit 4.165 Punkten das erneute Ticket für die Ironman World Championship in Kona. Kurz vor seiner Abreise in die Südsee beantwortete Christian Kramer die Fragen der tritime-Redaktion.
Christian, mit welchen Gefühlen und Wünschen trittst Du die Reise nach Kailua-Kona an?
Das Gefühl ist aktuell sehr gut – auch weil es im Training läuft wie geplant. Nachdem ich im Januar mit Null Punkten gestartet bin und mit den Rennen in Melbourne und Lanzarote im Prinzip Ende Mai schon durch war, konnte ich den gesamten Sommer zum Training nutzen und mich sehr gezielt auf Kona vorbereiten. Die Vorfreude, sich wieder mit den Besten zu messen und selber versuchen das Optimum rauszuholen, lässt die Zeit wie im Flug vergehen.
Dein letztjähriges Rennen in Kona bezeichnetest Du kurz und knapp mit „ein Satz mit X“. Wie gehst Du mit Rückschlägen generell um und welche Lehren hast Du daraus für dieses Jahr gezogen?
Im Sport geht es leider nicht immer nur geradeaus, das musste ich letztes Jahr leider auf die harte Tour lernen. Ich habe vor allem im Rennen einige entscheidende Fehler gemacht, beispielsweise das Thema Ernährung unterschätzt, da es bis dahin immer irgendwie funktioniert hat! Aber auf Hawaii reicht irgendwie nicht, und wenn man einen Benziner nur mit Diesel füllt, kommt man nicht weit. Ich habe mein und das Rennen vieler anderer recht genau analysiert und denke, einige wichtige Erkenntnisse daraus gezogen. Auch beim Thema Material konnte ich an einigen wichtigen Schrauben drehen.
Und die wären?
Ich bekomme beispielsweise meine DT Swiss Laufräder mit Keramiklager ausgestattet und werde diese dann mit den neuen Tubeless Reifen von Schwalbe fahren, um an dieser Stelle noch ein paar Watt zu sparen. Außerdem fahre ich von meinem Radpartner Ceepo bereits das 2016er Modell, welchesin Sachen Aerodynamik ein großer Fortschritt zum Vorgängermodell ist, sodass ich auch hier konkurrenzfähig bin.
Bei Deinem zweiten Platz auf Lanzarote bist Du erst auf den letzten Laufkilometern vom späteren Sieger abgefangen worden. Welche Rolle spielt in solchen Momenten Dein Trainer und das private Umfeld? Oder steht Dir ein Mentalcoach zur Seite?
Das Thema Mentalcoaching bin ich tatsächlich nach Lanzarote angegangen, aber es hatte weniger mit dem Rennverlauf zu tun. Diese Idee hatte ich schon länger, nur hat es sich dann so ergeben. Das private Umfeld und auch alle anderen beteiligten Personen helfen natürlich so gut wie möglich, mit solch einer Niederlage umzugehen, aber auch hier kenne ich den Grund, warum es am Ende leider nicht ganz gereicht hat, und denke auch hier einen weiteren Schritt nach vorn gemacht zu haben.
Und was genau war der Grund?
Rund drei Wochen vor dem Ironman Lanzarote hatte ich mir bei einem längeren Lauf die Ferse an einem Stein angeschlagen. Somit musste ich die eine oder andere wettkampfspezifische Einheit streichen und sehr vorsichtig trainieren, um das Rennen nicht komplett zu riskieren. Letztlich haben hier ein paar Umfangskilometer gefehlt.
Auf Lanzarote hattest Du mit sehr starkem Wind zu kämpfen, auf Hawaii kommen auch noch schwülheiße Temperaturen hinzu. Bedeutet das für Dich eher eine zusätzliche Belastung oder kommst Du mit solchen Bedingungen in aller Regel gut klar?
Durch das aktuelle Trainingslager im texanischen „The Woodlands“ bin ich sehr wahrscheinlich auf die Wetterbedingungen in Kona sehr gut vorbereitet. Als zusätzliche Belastung sehe ich es nicht. Außerdem muss jeder, der weit kommen will, gut und clever damit umgehen können. Vor dem Wind habe ich auch nicht mehr Respekt als die letzten Jahre, nur denke ich, dass mich nach Lanzarote in diesem Jahr wenig schocken kann.
Im vergangenen Jahr hast Du im tritime-Interview gesagt „Für Platz 13 will ich nicht nach Hawaii fliegen!“. Dürfen sich die Triathlonfans in diesem Jahr auf einen besonders motivierten Christian Kramer freuen?
Ich bin dieses Jahr nicht weniger oder mehr motiviert als im letzten Jahr. Auch 2015 gilt deshalb: „Für Platz 13 will ich nicht nach Hawaii fliegen!“ Schon wenn man es rein betriebswirtschaftlich sieht, muss man sich Platz 10 vornehmen, da es ab Platz 11 „nur“ die Finishermedaille gibt.
Du hast es bereits erwähnt, dass Du die letzten Wochen vor Deiner Anreise nach Big Island unter anderem gemeinsam mit Nils Frommhold, Boris Stein und Julia Gajer in Texas trainierst. Welche Vorteile gibt Dir persönlich das Training in der Gruppe, insbesondere so kurz vor dem wichtigsten Rennen des Jahres?
Wir bereiten uns in The Woodlands vor, da hier die klimatischen Bedingungen denen in Koan sehr ähnlich sind. Außerdem gibt es hier durch den Ironman im Mai eine gewisse Community, außerdem hat ein Großteil der Autofahrer auch schon mal einen Radfahrer auf der Straße gesehen! 😉 Das Training in der Gruppe hat den Vorteil, das geteiltes Leid, halbes Leid ist. Gerade mit Nils haben wir versucht, möglichst viele Einheiten zeitlich gleichzulegen, sodass beispielsweise die langen Läufe und das Schwimmtraining zusammen stattfindet und man gegenseitig voneinander profitiert. Die Tage mit weniger Training kann man je nach Lust und Laune auch gemeinsam gestalten.
Wie schätzt Du Deine realistischen Chancen ein?
Nach aktuellem Trainingszustand und mit einem optimalen Rennverlauf ist sehr viel möglich, und der eine oder andere wäre mit Sicherheit überrascht. Ich habe mir das Ziel Top 10 gestellt und werde um jeden Platz kämpfen!
Wer sind die großen Favoriten auf den Sieg im Rennen der Herren?
Die großen Favoriten sind nach ihren beeindruckenden Siegen dieses Jahr Jan Frodeno, Nils Frommhold und Frederik van Lierde, wobei ich auf ein rein deutsches Podium tippe!
Und bei den Damen?
Da alle auf einen Zweikampf Daniela Ryf gegen Mirinda Carfrae spekulieren, tippe ich hier unorthodox auf Leanda Cave oder Melissa Hauschildt.
Christian, wir drücken Dir für die Top 10 ganz fest die Daumen!
Interview: Klaus Arendt
Foto: Michael Rauschendorfer | DT-Swiss