
Lange Zeit wurde das menschliche Bindegewebe, die sogenannten Faszien, in seiner Funktion unterschätzt. Forscher wie der Humanbiologe Dr. Schleip haben die „Logistikstruktur des Körpers“ neu entdeckt und erkannt: Faszien müssen wie Muskeln und Sehnen trainiert werden – sonst drohen Überlastungsschäden.
Was sind Faszien?
Der Begriff der Faszien kommt aus dem Lateinischen: „Fascia“ bedeutet übersetzt „Verbund, Bündel, verbinden“. Faszien sind also nichts anderes als das Bindegewebe im menschlichen Körper, das den ganzen Körper durchdringt und ihm seine wesentliche Form gibt. Dr. Robert Schleip vergleicht ihre Struktur mit der bayerischen Weißwurst: „Faszien sind die Pelle, die die Muskeln wie ein Stück Fleisch umhüllt.“ Statt aus einzelnen, zählbaren Einheiten bestehen sie aus einem zusammenhängenden Stück. Dieses verdickt sich an Stellen, an denen es besonders belastet wird, wie an der Fußsohle mit der sogenannten Plantarfaszie.
Warum Faszien trainieren?
Wird das Bindegewebe nicht trainiert, verfilzt seine Struktur. Das liegt daran, dass Faszien im Laufe der Zeit ihre elastische Speicherfunktion verlieren und stattdessen verkleben. Sportler setzen in der Regel auf Ausdauer- und Muskeltraining sowie auf Koordination. Forscher haben indes herausgefunden, dass die meisten Überlastungsschäden, wie ein Ermüdungsbruch, das Gewebe betreffen. „Deshalb müssen Faszien genauso adäquat trainiert werden wie die Muskeln selbst, um dadurch elastischer, reißfester und geschmeidiger zu werden“, ist Dr. Schleip überzeugt.
Wie Faszien trainieren?
Faszien-Training hat viele Gesichter: Angefangen vom ausgiebigen Dehnen über Springen im Treppenhaus bis zum Aushängen an der Sprossenwand ist alles möglich. „Stretching ist ein Teil vom Faszien-Training“, erklärt Dr. Schleip. Noch effektiver sei es, Dehnungen mit federnden Bewegungen zu kombinieren. Ein Beispiel ist das sogenannte plyometrische Springen, eine Art Schnellkraft-Training. Dazu empfiehlt der Faszien-Forscher ein- bis zweimal pro Woche jeweils fünf Minuten verschiedene Sprünge durchzuführen: „Treppen sind ideal und straffen zusätzlich die Gesäß-Muskeln.“ Ob drei Stufen auf einmal, seitliche Vorwärtsbewegungen, Drehschritte oder Kriechen auf allen vieren – erlaubt ist, was Spaß macht. Je abwechslungsreicher die Bewegungen sind, desto mehr Spannung baut der Körper auf und beugt damit Verletzungen vor. Dr. Schleip: „Am besten im Treppenhaus nach oben flitzen und nach unten den Aufzug benutzen.“ Eine weitere Möglichkeit, Faszien zu trainieren, ist das Aushängen an einer Sprossenwand oder einem Baum. Dr. Schleip selbst hangelt sich gerne wie ein Affe am Klettergerüst entlang, wie er berichtet: „Dabei ziehe ich meine Faszien wie ein Hemd in verschiedene Richtungen.“ Diese Winkel-Bewegungen funktionieren auch mit einem Triathlon-Rad, das man in verschiedene Richtungen stemmt. Wichtig ist, die Übungen am Anfang nicht zu übertreiben: „Das Bindegewebe braucht eine längere Erholungszeit als die Muskeln und sollte daher mindestens 48 Stunden geschont werden.“
Selbstmassage mit Schaumstoffrolle
Den einfachsten Zugang zum Faszien-Training bietet die Eigenbehandlung mit der Rolle. Beim sogenannten Fascial Release ersetzt eine feste Schaumstoffrolle die Hände des Physiotherapeuten. Bei der ersten Roll-Yourself-Runde melden sich – gerade bei Anfängern – schmerzhafte Stellen, die jedoch nach einer weiteren langsamen Wiederholung spürbar geschmeidiger werden. Durch das Rollen lösen sich Verklebungen im Gewebe, der Körper wird beweglicher und die Schmerzen lassen nach. Diese Technik eignet sich besonders für Sportler nach einer harten Trainingseinheit sowie einem Wettkampf, kann aber auch vorbeugend eingesetzt werden. „Jeden zweiten Tag den ganzen Körper 20 Minuten abzurollen, ist ideal“, rät Dr. Schleip. Ob Blackroll oder The Grid von Trigger Point – die Schaumstoffrollen gibt es in unterschiedlichen Härtegraden und Farben. Sie kosten durchschnittlich 30 Euro, wiegen rund 200 Gramm und passen in jeden Rucksack. Da hilft nur ausprobieren – oder, wie Dr. Robert Schleip, es formuliert: „Was guttut, sagt einem nicht der Hersteller.“
Text: Nora Reim
Fotos: fascial-fitness.de, blackroll by Wobenzym
Quelle: tritime | Leidenschaft verbindet (Ausgabe 4/2014, Seite 98)