
tritime-Leser Jörg Schneider testete in den vergangenen Wochen im Rahmen seiner Saisonvorbereitung das Canyon Aeroad CF SLX 9.0 SL.
Praktisch jeder Hersteller, der etwas auf sich hält, hat heutzutage ein aerodynamisch optimiertes Roadbike im Angebot. Selbstverständlich ist der Koblenzer Direktversender Caynon in dieser Entwicklung ganz vorn dabei, stattet der innovative Hersteller doch gleich zwei Profi-Radrennteams und mehrere Profitriathleten, unter anderem die deutschen Anne Haug, Jan Frodeno und Nils Frommhold aus.
Ausstattung
Seit diesem Jahr bietet Canyon die optimierte Version seines passend Aeroad getauften Renners in der Variante SLX an. Ich durfte einige Wochen das Aeroad CF SLX 9.0 SL testen, das mit edlen Mavic Cosmic Carbon SLE (inklusive den wunderbar wirksamen Exalth-Bremsflächen) ausgestattet war und mit der neuesten Shimano Dura-Ace Di2 daher kam. Natürlich 11-fach, natürlich mit der aktuellen Kettenblatt-Abstufung 52/36, die zwischen der klassischen 53/39 und den für viele etwas unterdimensionierten Kompaktkurbeln 50/34 liegt. Das Auge isst ja bekanntlich mit und so fiel meine Farbwahl auf „Glow Red“ statt der Alternative „Stealth – Aspahlt Grey“. Farben sind natürlich prinzipiell eine Frage des Geschmacks, aber tatsächlich habe ich mir von diversen (männlichen!) Kollegen positive Kommentare noch und nöcher anhören dürfen. Das Rot scheint tatsächlich etwas in der Sonne zu glühen. Sehr schick.
Schaltung
Nun zum Eingemachten. Über die aktuelle Dura-Ace-Gruppe von Shimano in der Tiefe zu berichten wäre vermutlich wie die vielzitierten Eulen nach Athen zu tragen. Das Gleiche gilt vermutlich zwischenzeitlich auch für die elektronische Variante Di2. Sie verrichtet ihre Arbeit absolut tadellos. Solange man den Akku ordentlich geladen hat, schaltet sie tatsächlich ohne Murren und Knurren und schnurrt dabei wie ein zufriedenes Kätzchen. Sobald man sich an die Schalter gewöhnt hat („Welcher schaltet nochmal hoch und welcher runter?“), reicht ein leichter Druck auf den entsprechenden Taster und – klick – liegt die Kette wie eine Eins auf dem gewünschten Ritzel. Natürlich ging es mir einmal so, dass plötzlich der Umwerfer nicht mehr funktionierte. Erfahrene Di2-Nutzer wissen, dass dies ein klares Signal ist, dass der Akku zur Neige geht. So vollendet die vordere Verteilerbox in die Vorbau-Lenker-Einheit versteckt wurde (aus dem Wind und aus der Sicht), so unpraktisch ist es, mal eben den Akkustand zu prüfen. Aus den Augen – aus dem Sinn! Und wenn man den Akku laden will, muss man eben jene Verteilerbox ausbauen. Dazu ist es nötig, die untere Blende mit dem mitgelieferten Torx-Schlüssel zu entfernen. Das ist natürlich etwas Aufwand, aber der SM-BTR2 genannte und im Rahmen verlegte Akku hält schon sehr lange durch (angegeben sind rund 2.000 Fahrkilometer, aber das hängt de facto von den Schaltvorgängen und der Außentemperatur ab). Wer schön sein will, muss eben gewisse Opfer bringen.
Cockpit
Bemerkenswert – neben der wunderschönen Optik des Aero-Rahmens – ist auch das hyper-aufgeräumte Cockpit, das mit der Canyon-eigenen aerodynamisch optimierten Vorbau-Lenker-Einheit aufwartet. Sauberer geht’s gar nicht. Minimalismus pur! Der Nachteil ist natürlich die Anpassbarkeit – es kann eben nicht wie zuvor schnell mal ein anderer Vorbau probiert werden. Also gilt: Vorher sauber die Sitzposition bestimmen und die entsprechende Einheit bestellen. Aber wenn wir ehrlich sind, ändern wir diese Kombination – einmal ordentlich eingestellt – ohnehin nie wieder.
Fahrverhalten
Zum Fahrverhalten könnte ich jetzt natürlich die üblichen Marketing-Phrasen vieler Hersteller wiederholen, wonach das Rad praktisch aus jeder Kurve von selbst heraus beschleunigt und so weiter. Aber ich will nicht die Intelligenz der Leser beleidigen und beschränke mich auf das, was ich auch selbst wirklich während des Tests wahrgenommen habe. Da wäre natürlich die schon fast sprichwörtliche Rahmensteifigkeit zu nennen, für die Canyon zwischenzeitlich eine Reputation entwickelt hat. Mit einem Wort: Das Aeroad ist bocksteif! Und das meine ich wirklich im positiven Sinne. Das kombiniert mit der Leichtigkeit ergibt ein Fahrrad, das tatsächlich abgeht, wie „Schmidt’s Katze“. Okay, jetzt bin ich auch nicht der Typ, der ständig mit 1.000 Watt in die Pedale stampft, aber es bleibt einem nicht verborgen, dass da „was nach vorne geht“. Gleiches gilt für die Wendigkeit. Als alter Triathlet, der die meiste Zeit froh ist, wenn das TT-Bike möglichst geradeaus läuft, ist das hier das volle Gegenprogramm. Ein paar Serpentinen hier am Albtrauf in vollem Galopp – da kommt Freude auf! Den gleichen Albaufstieg wieder bergan? Da kommen einem die vorher genannten Eigenschaften wieder zu Gute: Es ist leicht, es ist super-steif und damit kommt man leichtfüßig im Wiegetritt die steilsten Anstiege hoch. Mit der kleinsten angebotenen Übersetzung von 36/28 (bei der Bestellung kann man zwischen fünf verschiedenen Ritzelpaketen wählen) kombiniert braucht man nun wirklich keine Bergziege sein, um auch zweistellige Prozente zu stemmen. Und auch wenn ich dieses Jahr eine Auszeit vom Ligabetrieb nehme, wäre das wahrscheinlich mein Lieblings-Arbeitsgerät für Windschattenrennen. Ein Problem dabei wäre allerdings, dass man eine Speziallösung für Aerobars auftreiben müsste für den nicht runden Lenker.
Seitenwindanfälligkeit
Ein Wort zur Windanfälligkeit: Ich denke, dass all diejenigen, für die ein solches Rad in Frage kommt, keine Probleme mit den 50 Millimeter hohen Mavics haben sollten. Ich halte persönlich 50er „deep rims“ ohnehin für eine optimale Kombination aus Aerodynamik und Alltagstauglichkeit. Die kann man praktisch immer fahren, auch in einem windigen Jahr auf Hawaii.
Zwei Details zum Abschluss: Heute braucht sich niemand mehr zwischen einem aerodynamisch optimierten und einem superleichten Rennrad entscheiden: das Aeroad liegt schon von der Stange unter 7 Kilogramm. Zweitens bietet Canyon bei der von mir getesteten Variante Sprinter-Shifter inklusive, ein netter Gag, der aber wahrscheinlich für die meisten Nutzer wenig Anwendung finden wird, mit Ausnahme bei einem Ligarennen mit Windschattenfreigabe.
Text und Fotos: Jörg Schneider