“Was für eine unglaubliche Zeit”, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Es ist die Nacht vor der Challenge Roth 2014. Ich kann nicht schlafen, wälze mich im Bett immer wieder hin und her.
Mein Kopf ist gefüllt von so vielen Eindrücken und Bildern, sodass ich einfach nicht zur Ruhe komme. “Bitte lass es endlich losgehen”, flehe ich innerlich. Ich möchte einfach nur noch das tun, was ich so sehr liebe, was mir so sehr einen roten Faden in den zahlreichen vorhergehenden Monaten bot: Schwimmen, Radfahren und Laufen. Ich kann den Startschuss kaum erwarten, der Puls rast schon jetzt, der Magen ist verkrampft und mir ist übel! War ich jemals so aufgeregt?
Endlich Morgen. In der Wechselzone bei all den tausenden Mitstreitern geht es mir besser, fühle mich wieder als Teil und weniger allein, erlebe diese knisternde Atmosphäre wie eine Sprungfeder, die auf höchster Spannung steht. Ein paar Meter von mir entfernt sitzt Caroline Steffen, fokussiert und konzentriert, ihr Blick irgendwohin gerichtet, wo niemand sonst hinsehen kann. Und das ist nur eine Szene, die mich erinnern lässt, was diesen Sport so besonders macht. Wir alle, ganz gleich ob Profi oder ambitionierter Agegrouper, gehen gemeinsam in unseren alleinigen Kampf. Wir alle wissen nicht, was passieren wird, wie unser Körper, unser Kopf auf die vorherrschenden Bedingungen reagieren wird. Doch wir alle wissen: Wir werden unser Bestes geben, ganz gleich, was kommen wird, und wenn alles gut geht, werden wir schwimmen, radfahren, laufen und irgendwann, irgendwann die Ziellinie überqueren. Noch nie fühlte ich mich meinen sportlichen Vorbildern so nahe. Wir alle stehen vor unserer persönlichen Herausforderung und wissen, dass vieles schief gehen, dass heute aber auch der perfekte Tag sein kann. Für mich ist klar, auch wenn ich nicht geschlafen habe und kaum etwas essen konnte, ich werde mein Bestes geben, aus Freude und Dankbarkeit hier sein zu dürfen, an diesem besonderen Wettkampf teilnehmen zu dürfen.
Und endlich fällt der Startschuss, und all die Gedanken und Sorgen sind passé. Am Ufer sehe ich die jubeln-den Zuschauer, leicht höre ich ihr Gejohle und die stimmmungsge-ladene Musik: das wird ein Fest, lasst es uns nun durchziehen! In einem Kanal zu schwimmen, der immer wieder zum Whirlpool wird, ist schon eine besondere und neue Erfahrung, aber von wegen keine Wellen!! Der Main-Donau-Kanal lebt, die Schlacht ist eröffnet und nachdem die Profis und dann auch wir Frauen starten durften, erkenne ich die ersten grünen Badekappen: Die Age-Grouper Herren mischen sich unter die bisher Gestarteten. Im 5-Minuten-Takt werden immer mehr Teilnehmer auf die Reise geschickt, während mir immer mehr die Badekappe vom Kopf rutscht und die Arme mit der Zeit schwerer werden. Das Zeitgefühl habe ich in diesem angenehm 21 Grad Celsius warmem Wasser einfach verloren. Erleichtert stelle ich fest, dass die eine oder andere rote Badekappe der Frauen mich umgibt. Der freundliche Helfer, der fast bis zu den Schultern im Wasser steht, hilft mir letztlich aus dem Kanal und ich laufe nach einem kurzen Wechsel zu meinem Rad.
Radfahren: Endlich
Nun kehrt ein wenig Ruhe ein, denn ich weiß, auf meinem zweirädrigen Freund werde ich eine lange Zeit verweilen. Bei den ersten Metern sehe ich rechts an der Strecke Sonja Tajsich stehen, und um mich herum so viele jubelnde Zuschauer, so viele fokussierte Radfahrer. Ich bin überwältigt, glücklich. Die erste 90 Kilometer lange Radrunde ist geprägt von purer Euphorie und Begeisterung. Die Radstrecke ist einfach der Hammer!! Landschaftlich wunder-, wunderschön, bissige Anstiege und steile Abfahrten machen das Radeln zu einem unglaublichen Erlebnis. Nichts ist im Leben selbstverständlich. Ich sehe Athleten, denen es weniger gut geht wie mir – Pannen mit dem Rad, körperliche Beschwerden,… erschreckend sehe ich einen Athleten mit Halskrause auf dem Boden vor einem Saniwagen liegen. Gedanklich schicke ich ihm die besten Wünsche, hoffe, dass es ihm bald wieder gut geht.
Bei der zweiten Radrunde merke ich wie die Hitze ihren Tribut zollt, und obwohl ich mich in meinem kleinen Mikrokosmos befinde und achtsam meine eigenen kleinen Wehwehchen wahrnehme, stelle ich spätestens bei den vor Athleten überlaufenden Wasserstationen fest, dass möglicherweise jeder zu kämpfen hat. Die letzten Anstiege verfluche ich, und plötzlich taucht ein Mountainbikefahrer im Zuschauerfeld neben mir auf und erinnert mich, dass es nicht mehr weit ist. Er wünscht mir alles Gute und viel Spaß. Solche kleinen Begebenheiten wirken Wunder, diese Menschen, die Zuschauer, die einen irgendwie innerlich berühren, wirken wie Engel, die mich erinnern, wie besonders unser Sport ist, dass Höhen und Tiefen einfach mit dazugehören, dass es nur um eines geht: WEITERMACHEN!! Beim anschließenden Laufen werde ich noch häufiger diese Erfahrung machen.
Laufen: Mentale Herausfordrung
Der Lauf beginnt mit Magenkrämpfen, immer wieder laufe ich, stoppe ich, stütze mich auf meine Knie, Schmerz lass nach, aber ich weiß, dass ich finishen werde. Jetzt zählt nur noch der Kopf. Später werde ich erfahren, dass viele Athleten mit Übelkeit und Magenbeschwerden zu kämpfen hatten, es mag an dem heißen Wetter liegen, an dem erhöhten Bedarf an Flüssigkeit, Salzen, Mineralstoffen, und dass der Körper bei solchen Temperaturen eine derartige Belastung nicht gewohnt ist. In der zweiten Hälfte des Marathons stellen sich dann auch die wohl vertrauten Muskelschmerzen ein. Ich weiß nicht mehr, wie ich laufen oder gehen soll, setze einfach einen Fuß vor den nächsten, mehr kann ich nicht tun. In diesem Taumel erblicke ich plötzlich meinen Freund und Vereinskollegen Hans-Peter, der mir entgegenkommt, und der eindeutig schon mal fitter aussah. Ich halte kurz, Hans-Peter stützt sich auf seine Knie und sagt immer wieder “Aber wir ziehen das hier durch!“ “Natürlich“, bestätige ich ihn, “das ist keine Frage!”. Auch er erlebt hier seinen ganz persönlichen Kampf.
Die Laufstrecke an sich ist mental die größte Herausforderung: Kilometerweite Sicht, sodass du am Ende möglicherweise einen kleinen sich bewegenden Punkt als einen Läufer ausmachen kannst. Und du weißt, dass es dort hinten, so weit weg von dir, einen Wendepunkt geben wird, und du die gesamte Strecke auch wieder zurücklaufen musst. Ein Albtraum, auf den ich mich mental besser hätte vorbereiten müssen, denn mit dem Blick in die Ferne mach ich mir gedanklich die letzten Kilometer nicht gerade leicht.
Am Ziel der Träume
Im Zielkanal tauche ich dann plötzlich in eine ganz andere Welt ein. Vorbei ist das Gefühl der Isolation und der eigene Kampf ist vergessen. Umjubelt von so vielen Menschen werde ich quasi ins Stadion getragen, blicke vor Staunen um mich, einfach unglaublich. Im Ziel empfängt mich der Weltmeister aus dem Jahre 2012, Pete Jacobs, und hängt mir beglückwünschend die Medaille um. Träume ich?
Die abschießende Party im Stadion, die mit einem Feuerwerk gekrönt wird, werde ich wohl nie vergessen. Woher nur all diese Energie… ich tanze, singe und lache, jubel den hineintrudelnden Finishern zu, die wie Helden gefeiert werden. Immer wieder schießen mir Tränen des Glücks und der Bewegtheit in die Augen, gerade bei dem live gesungenem Song “You raise me up”, das mich an all die Menschen erinnern lässt, die mich auf meinem Weg bis hierhin begleitet haben. Als letztes wird ein Film gezeigt, dass zum Challenge-Family-Song einen Zusammenschnitt dieses langen Tages zeigt. Am Ende des Films tauche sogar ich auf. Das fühlt sich ziemlich unwirklich an. Kurz danach begegne ich Timo Bracht im Verpflegungszelt. Ich beglückwünsche dem Gewinner der Challenge Roth und Deutschen Meister. Er bedankt sich, geht weiter, dreht sich noch mal um und meint “Dich habe ich doch gerade in dem Film gesehen.” Ich bejahe dies und stammle so etwas wie, dass das schon ziemlich merkwürdig sei. “Wieso?” entgegnet Timo daraufhin, “mich hat man doch auch gesehen.” Das ist die Challenge Roth.
Text: Kathrin Bischoff | SG Athletico Büdelsdorf | AK W30
Fotos: Alex Grimm | Getty Images sowie Lennart Preiss | Getty Images