Schwimmen, Radfahren und Laufen: Seit 17 Jahren ist Meike Maurer begeisterte Triathletin. 2013 stand für die stellvertretende Chefredakteurin der tritime unter einem besonderen Stern. Nach zahlreichen Liga-, Challenge- und Ironman-Wettkämpfen über die unterschiedlichsten Distanzen suchte die 36-Jährige das Besondere, das Extreme und entschied sich dazu, neben dem Israman auch noch beim Norseman an den Start zu gehen. Diejenigen, die eine gänzlich neue triathletische Herausforderung auf der Lang-Distanz suchen, werden beim Lesen einen ersten Eindruck von den bevorstehenden Strapazen bekommen.
Ein Langdistanz-Triathlon – sprich 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen ist an sich schon kein Pappenstil. Ein sportliches Programm, das man garantiert nur gut trainiert, zu meistern versuchen sollte. Aber wenn, wie in Norwegen auch noch kaltes Wasser, zahlreiche Höhenmeter und Wetterkapriolen hinzukommen, dann verspricht der Wettkampf wahrlich extrem für Körper und Kopf zu werden. Der „Norseman“ ist eines der härtesten Rennen, dem sich Triathleten weltweit stellen könne. Und das Motto „Expect the worst and hope for the best“ – zu Deutsch „erwarte das Schlimmste und hoffe das Beste – sollte man wirklich ernst nehmen.
Privilegiert ist, wer starten darf
Das Rennen startet um 5 Uhr morgens in der Nähe des norwegischen Dörfchen Eidfjord mit einem Sprung von einer Autofähre in das maximal 16 Grad kalte Wasser des Hardangerfjord. Danach gilt es 3,8 km Schwimmen, gefolgt von 180 km Radfahren von Eidfjord über Hardangervidda, Geilo nach Austbygde am Tinnsjå See mit über 5.000 Höhenmetern und einen Marathon zum Gipfel des Berges Gaustatoppen mit insgesamt 1.883 Höhenmetern zu bewältigen. Wer einen der maximal 350 Startplätze ergattert, darf sich glücklich schätzen, denn nur jeder fünfte Bewerber, ergattert einen Startplatz. Es ist ein Privileg, sich einen Tag lang über die Berge zu bewegen und die spektakuläre norwegische Natur zu genießen. Dabei ist das Rennen eher einfach organisiert: Keine Pasta-Party, fast keine Verpflegung auf der Strecke, schon gar keine Stimmungsnester und auch keine Party im Ziel. Ein eigenes Support-Team, das die persönliche Athletenbetreuung übernimmt, ist zwingend vorgeschrieben und erforderlich. Ohne Begleitpersonal, keine Verpflegung! Die Devise des Rennes lautet, zurück zum Einfachen. Der Reiz liegt in der norwegischen Natur und in der Bewältigung der mörderisch schweren Strecken und vielleicht auch in der Ruhe, die das Rennen ausstrahlt.
Gedränge am Start? Fehlanzeige. Das überschaubare Starterfeld ist wie eine eingeschworene Gemeinschaft: Jeder zollt dem anderen maximalen Respekt und Anerkennung. Zeit spielt während des Rennes keine Rolle mehr – zumindest nicht, wenn man nicht zu den Sieganwärtern gehört. Der Norseman ist sozusagen die norwegische Variante, sich sportlich zu entschleunigen.
Hart, härter, Norseman
Nicht nur einmal habe ich dieses Jahr gehört: „Meike, du bist verrückt! Du, willst den Norseman machen und das auch noch drei Wochen nach der Langdistanz in Roth.“ Und ja, es war verrückt und manchmal kommen die Dinge eben anders als geplant. Als ich mich im Juli 2012 für einen Start beim Langdistanz-Rennen in Roth entschied, wusste ich nicht, dass ich auch eine Startzusage für den Norseman bekommen sollte. Als diese Anfang des Jahres kam, war für mich klar, ich wollte versuchen, beide Rennen zu finishen. Natürlich hatte ich selbst Respekt vor meinem Vorhaben, zumal die Vorbereitung alles andere als perfekt lief und Bergeerklimmen nicht unbedingt zu meinen Stärken gehört. Aber das musste ja keiner wissen. Mit einem soliden Rennen in Roth (11:15 Stunden) im Gepäck, das mir keiner mehr nehmen konnte, ging es Ende Juli mit dem Flieger Richtung Norwegen.
Seit Jahren war ich mal wieder vor einem Rennen richtig aufgeregt. Die Anreise war zäh und lange. Stürmisches Regenwetter erwartete uns am Zielflughafen in Bergen, was auch gleich der erste Vorgeschmack auf das Wetter am Renntag werden sollte. Erbarmungslos klingelte der Wecker nach einer sehr kurzen Nacht bereits um 2 Uhr morgens. Raus aus den Federn, frühstücken, packen, letzte Vorbereitungen treffen, Rad einchecken und rauf auf die Fähre, die um 4 Uhr Richtung Startlinie ablegte. Auf der Fährte herrschte angespannte Stille. Jeder war mit sich beschäftigt. Jeder kannte die Wettervorhersage, die nicht viel Gutes versprach und jeder war damit beschäftigt Neoprenanzug samt Neoprensocken und einer zusätzlichen Neoprenhaube als Kälteschutz vor dem doch sehr frischen Fjordwasser anzuziehen.
Dann ging alles ziemlich schnell: die Vorderseite der Fähre öffnete sich und mit einem drei-Meter-Sprung in die Tief wurden wir in das dunkle Wasser geschickt. Ein bisschen gruselig war dieser Moment schon, doch lange nachdenken konnte ich nicht. Die Sirene der Fähre jaulte als Startsignal und ab ging die Post. Das Schwimmen lief trotz Kälte, Dämmerung und Wellengang gut. Ich hatte eine kleine Schwimmgruppe erwischt, fühlte mich sicher und hatte Spaß. Nach 1:11 Stunden und als eine der ersten Frauen hatte ich wieder festen Boden unter den Füssen. Kaum auf dem Rad, blies mir auch schon Gegenwind ins Gesicht. Dieser war so stark, dass es mir nach zehn Kilometer sogar trotz Sportbrille eine Kontaktlinse aus den Augen wehte. Egal, dachte ich mir, es geht sowieso erstmal 40 Kilometer berghoch, das muss man nicht so genau sehen und außerdem würde irgendwann mein Support-Team am Straßenrand stehen, denen ich wohlweislich Ersatzlinsen mitgegeben hatte. Hunger hatte ich auch schon und nach einer Stunde bergauf, schmerzte der Rücken. Das Drücken gegen den Wind am Berg hinterließ erste Spuren. Nachdem ich allerdings meine Ersatzlinse und genug Essen bekommen hatte, war die Welt wieder in Ordnung. Bis Kilometer 90, da gab es als Ergänzung von erbarmungslosen Windböen ein Gewitter mit Starkregen gratis dazu. Meine Energiereserven waren eigentlich aufgebraucht, aber ich hatten den Spruch meiner Mutter bei der Abreise noch im Ohr: „Wenn du soweit reist, dann musst du auch ins Ziel kommen!“ Okay, dann mal los. Die nächsten 90 Kilometer versuchte ich nur noch in 15 Kilometer-Etappen abzuarbeiten. Alle 15 Kilometer wartete nämlich mein Support, um mir mit warmen Getränken, Kleidung, Essen und aufbauenden Worten eine Freude zu machen. Selbst im dichtesten Nebel bei Kilometer 150 auf dem letzten Berg, der schier endlos erschien, stand mein Vater und eine Freundin dick eingepackt im Wind und waren mein Lichtblick auf meiner doch recht lange Radeltour.
16:45 Stunden Sport Nonstop
180 km gegen den Wind, fünf Bergpässe, rund 5.000 Höhenmeter und über 9 Stunden später, durfte ich endlich mein Rad zur Seite stellen und die Laufschuhe schnüren. Gott war ich froh, endlich laufen zu dürfen. Noch nie zuvor hatte ich mich so auf den Marathon gefreut. Endlich eine andere Bewegung, die den Rücken wieder lockerte und endlich nicht mehr frieren. Blöd nur, dass es im Tal gefühlt plötzlich viel zu warm war und der Kreislauf, ob der Temperaturunterschiede etwas verwirrt und zickig reagierte. Egal – die ersten 25 welligen Kilometer dienten quasi als Einlaufrunde und waren relativ gut zu bewältigen. Danach ging es gefühlt nur noch senkrecht auf einer Passstrasse den Berg hinauf. Bis Kilometer 37 auf Asphalt, danach über Stock und Stein. An rennen war bei mir nicht mehr zu denken. Selbst das Wandern viel unendlich schwer. Der Kreislauf rebellierte und Cola und Gels wollten nicht mehr im Magen bleiben. Und dennoch sagt der Kopf, das geht schon noch. Was sich hier kurz und schmerzlos liest, dauerte 6:12 Stunden. Im Ziel angekommen hatte ich nur noch einen Gedanken: Super – geschafft. Endlich schlafen! Am nächsten Tag war ich glücklich, den Norseman 2013 erlebt und überlebt zu haben.
Text: Meike Maurer
Fotos: Juliane Adam