Sind Scheibenbremsen tatsächlich der Renner?

Shimanos hydraulische Bremseinheit BR-R785 im Kurztest

Mitte Oktober 2013 reiste tritime-Redakteurin Meike Maurer nach Sizilien, um sich einen ersten Eindruck von den neuen hydraulischen Scheibenbremsen des Herstellers Shimano zu verschaffen, die ein noch kontrollierteres und effektiveres Bremsen ermöglichen sollen.

Scheibenbremsen – ein spannendes Thema, denn die Hersteller versprechen mit diesem neuen Bremssystem für Rennräder effektivere Bremsvorgänge bei allen Wetterbedingungen, mehr Kontrolle beziehungsweise Bremsen ohne Bremsverlust bei langen Abfahrten. Dabei ist interessant, dass der internationale Radsportverband UCI bisher nicht erlaubt, diese neuen Bremssysteme in offiziellen Straßenrennen zu fahren. Bei Cyclo Cross-Events hingegen sind die Discs allerdings bereits seit 2010 gestattet.

Nachdem das P5 von Cervélo mit einem Scheibenbremssystem von Magura ausgestattet wurde, zog SRAM im Frühjahr 2013 mit eine eigenen Produktlinie nach. Allerdings musste der amerikanische Komponentenhersteller zum Jahreswechsel 2013/14 eine großangelegte Rückrufaktion starten. Als Grund wurden Bremskraftverluste bei kühlen Temperaturen angegeben. Nicht umsonst wird das Thema „Scheibenbremsen am Rennrad“ in diversen Internetforen kontrovers diskutiert und der Sinn und Zweck häufig auch kritisch hinterfragt. Optik, Aerodynamik und das Gewicht stehen dabei häufig im Mittelpunkt der diskutiert. Der Großteil der Fahrer ist jedoch zumeist recht positiv gestimmt und lobt die sehr gute Bremsleistung.

Sizilien wir kommen
Beste Voraussetzungen also, Shimanos neue hydraulische Scheibenbremseinheit BR-R785 unter die Lupe zu nehmen und in den vulkanischen Bergen von Sizilien einem kurzen Test zu unterziehen. Vorneweg: Klar ist, wir reden hier von einer völlig neuen Entwicklung, die sicher noch einiges an Potenzial mit sich bringt und mit den bekannten und bewährten MTB-Komponenten nur wenig gemein hat. Diejenigen, die sich noch an die Anfänge der hydraulischen MTB-Bremsen erinnern, wissen, dass auch damals heftige Kritik die Runde machte. Heute kann man sich ein MTB ohne Scheibenbremsen kaum noch vorstellen. In Catania – im Osten der italienischen Insel angekommen – ging es auf direktem Weg ins Hotel am Fuße des 3.350 Meter hohen Ätna. Über den immer noch aktiven Vulkan führt zwar keine Straße, allerdings führen von verschiedenen Seiten asphaltierte Straßen Richtung Gipfel, sodass es schöne lange Abfahrten mit vielen Kurven gibt. Genau das richtige Terrain, um bei angenehmen Temperaturen die innovativen Bremsen an ihre Grenzen zu bringen. Die Kombination aus BR-R785 und der neuen 11-fach Ultegra Di2 versprach viel Fahrfreude, stand mit dem WH-RX31 ein passender Center-Lock-kompatibler 11-fach-Laufradsatz auf Ultegra-Niveau zur Verfügung, der sich für den Einsatz am Rennrad wie beim Crosser gleichermaßen eignet.

Das neue Fahrgefühl unter der Lupe
Bei der 17 Kilometer langen Abfahrt fällt die gut dosier- und kontrollierbare sowie gleichbleibende Bremsleistung sofort auf. Der niedrige Schwerpunkt der relativ schweren Scheibenbremsen verbessert die Kurvenlage gefühlt gegenüber klassischen Felgenbremsen. Je schärfer und steiler die Kurve bergab, desto später kann im Vergleich zu Felgenbremsen gebremst werden. Man fährt also länger schnell. Bremsen und Schaltung funktionierten bei trockenen Verhältnissen und angenehmen Temperaturen sehr gut. Die Bremsleistung war ohne großen Druck auf den Bremshebel großartig. Die Schalt – und Bremshebel liegen ergonomisch und leicht in der Hand, sodass kraftsparendes Bremsen möglich ist. Schmerzende Hände in einer langen Abfahrt vom vielen Bremsen gehören mit diesem Bremssystem, das mit der im Mountainbike-Bereich bewährten Ice-Tech Technologie ausgestattet ist, definitiv der Vergangenheit an. Ice-Tech ist eine Kühltechnologie, die für maximal konsistente Bremsleistung sorgen soll. Die Bremsscheibe zeichnet sich durch ihre dreilagige Sandwichkonstruktion aus Edelstahl-Flanken mit einem Aluminium-Kern aus und bietet eine wesentlich verbesserte Wärmeableitung. Felgen und Mäntel werden geschont. Standardmäßig kommen Rotoren mit 140 mm zum Einsatz, bei besonderen Anforderungen an die Bremsleistung kann optional auch eine 160 mm Bremsscheibe montiert werden. Je größer die Scheibe, um so eher kann allerdings auch ein leicht unrundes Gefühl bei beherzten Antritten entstehen, da die Scheiben ein leicht asymmetrisches Rollverhalten fördert und dem Rahmen etwas in Schwingung versetzen.

Fazit
Natürlich lassen Testfahrten an zwei Tagen kein endgültiges Urteil zu. Auch wenn der Ätna tolle Abfahrten bietet, müssen die Scheibenbremsen in den Alpen und den Mittelgebirgen ihre Alltagstauglichkeit beweisen. Überzeugend ist auf jeden Fall, dass der Schalt-/Bremshebel sehr gut in der Hand liegt und die Bremsen eine wirklich gute und effiziente Bremsleistung zeigen, auch bei sehr geringem Druck auf den Bremshebel. Typisch für Scheibenbremsen ist leider manchmal auch das Quitschen beziehungsweise, dass ein normaler Radwechsel auch etwas länger dauern kann, bis das Rad wieder so platziert ist, dass die Bremsscheiben nicht schleifen, das Mountainbike lässt grüßen. Wichtig ist auch, dass die hydraulischen Bremsen nicht einfach in jedes Rahmen-/Gabelset eingebaut werden können, da die Narbe der Laufräder breiter ist.

Ausblick
Im Rahmen eines Langzeittests wird die Redaktion der tritime die hydraulischen Scheibenbremsen von Shimano einem ausführlichen Test unterziehen, dann auch bei Wind, Regenwetter und kühlen Temperaturen.

Gewichtsinformationen Hydraulisches Bremsset BR-R785:
Schalt-/Bremshebel (Set): 515 g
Bremssattel: 263 g
Bremsleitung (SM-BH59): 61,5 g
Öl: 21,5 g
Bremsscheibe (SM-RT99-S, 140 mm): 205 g
Laufradsatz (WH-RX31): 1.795 g

Text: Meike Maurer
Fotos: Shimano | Paul Lange & Co. OHG