10. November 1995. Ich erinnere mich noch genau an den sonnigen Freitag in New York, als ich zwei Tage vor meinem allerersten Marathon die Startunterlagen am Columbus Circle in Empfang nahm. Knapp 30.000 Teilnehmer wurden hier binnen weniger Tage durchgeschleust, von den vielen Besuchern der Marathonmesse einmal ganz abgesehen. Dort gab es alles, was das Herz eines Läufers begehrte. Merchandising in Form von Kappen, T-Shirts, Laufhosen, Socken und und und. Es gab nichts, was es nicht gab. Und natürlich auch zahlreiche Stände, die Sporternährungsprodukte und Nahrungsergänzungsmittel feilboten. Insofern verwunderte es mich auch nicht, im Starterbeutel einen Riegel der mir damals noch unbekannten Marke PowerBar vorzufinden. Ohne mir die Informationen auf der Verpackung im Detail durchzulesen, riss ich ihn auf und biss in die schrecklich künstlich aussehende Masse hinein. Meine erste Reaktion glich der eines Kleinkindes, das zum ersten Mal einen sehr unangenehmen Geschmack wahrnimmt. Der Riegel landete dort, wo er meiner Meinung nach auch hingehörte: im Papierkorb. „Astronautennahrung. Typisch Amis. Das wird sich in Deutschland nie und nimmer durchsetzen“, waren meine ersten Worte, nachdem ich mich von dem klebrigen Etwas erholt hatte. Ich sollte eines Besseren belehrt werden.
In den Jahren danach vertraute ich bei meinen Marathonläufen auf Bananen, Gels und Isogetränke. Energieriegel berücksichtigte ich bei meinen Ausdauereinheiten erst einige Jahre später, als ich längere Touren mit dem Mountainbike unternahm. Seitdem gehören sie auf dem Zweirad zu meinen ständigen Begleitern, um dem größten Feind, dem Hungerast, den Garaus zu machen. TRITIME – DAS TRIATHLON-MAGAZIN traf sich mit dem Diplom-Oecotrophologen Uwe Schröder, Ernährungswissenschaftler am Institut für Sporternährung e. V., Bad Nauheim, um mehr über die Ernährung im Training und Wettkampf zu erfahren.
Arendt: Herr Schröder, damit ein Sportler über einen längeren Zeitraum Höchstleistungen abrufen kann, benötigt der Organismus eine gleichbleibende Energieversorgung. Angenommen, sämtliche zur Verfügung stehenden Energiespeicher sind voll, über welchen Zeitraum könnte ein Triathlet ohne Essen und Trinken auf gleichbleibendem Niveau trainieren oder einen Wettkampf bestreiten?
Schröder: Der in unserer Muskulatur gespeicherte Vorrat an Glykogen (die Speicherform von Glukose) ermöglicht nur eine Höchstleistung im Zeitrahmen von 60 bis 90 Minuten. Dauert die Belastung länger, müssen schon vor Erreichen dieses Punktes wieder ausreichend Kohlenhydrate zugeführt werden, um einen Leistungsabfall zu verhindern. Der Verarbeitungsprozess von Kohlenhydraten braucht seine Zeit: Auch wenn die Glukose meist schon nach weniger als zehn Minuten im Blut nachweisbar ist, kann sie im Muskel erst nach weiteren zehn Minuten verbrannt werden. Vorausschauend essen und trinken heißt das für alle, die einen Leistungsabfall vermeiden wollen. Wenn der Hunger kommt, ist es in aller Regel schon zu spät.
Arendt: Die Wettkampfnahrung sollte bekanntlich hauptsächlich aus leicht und schnell verfügbaren Kohlenhydraten bestehen. Zahlreiche Ausdauersportler ernähren sich während eines Wettkampfes ausschließlich mit Gels, Wasser und Isogetränken. Worauf sollten gerade Triathleten bei der Energiezufuhr achten?
Schröder: Riegel oder Gels sollten einen möglichst hohen Anteil an Kohlenhydraten, jedoch wenig Fett enthalten. Je höher der Fettanteil einer Wettkampfnahrung ist, desto langsamer verlässt sie den Magen. Dies bedeutet, dass die Energie der Muskulatur später zur Verfügung steht. Ziel sollte sein, mindestens circa 60 Gramm, bei stärkeren Belastungen und bei höherem Körpergewicht bis zu 100 Gramm geeignete Kohlenhydrate pro Stunde aufzunehmen. Also alle 20 Minuten eine kleine Portion Riegel, Gel oder Sportgetränk mit adäquaten Kohlenhydratmengen. Zum Riegel aber auch zum Gel sollte immer getrunken werden. Durch Getränke, ein Gel und/oder einen Riegel sowie eine Banane ist diese Menge zu realisieren. Bei individueller Verträglichkeit und sehr anspruchsvoller Radstrecke können schon hier bis zu 100 Gramm Kohlenhydrate und mehr pro Stunde verzehrt werden. Darüber hinaus hat der Athlet immer auf eine ausreichende Trinkmenge (Wasser UND Natrium, sprich Kochsalz) zu achten. Dabei gilt es zu beachten, dass der Organismus über Magen und Darm bis zu einen Liter Getränk pro Stunde aufnehmen kann. Wird ein Defizit nicht ausgeglichen, spürt man die Folgen schnell. Bereits bei Flüssigkeitsverlusten von zwei bis drei Prozent des Körpergewichtes sinkt nicht nur die physische, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit. Die Trinkmenge selbst wird jedoch insbesondere beim Radfahren häufig überschätzt und richtet sich nach den individuellen Schweißverlusten, der Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Da durch den Fahrtwind ein guter Kühlmechanismus gegeben ist, reicht in vielen Fällen bereits ein halber Liter pro Stunde aus.
Arendt: Welche „Rolle“ sollte aus Ihrer Erfahrung der Energieriegel in der Ernährungsstrategie des Ausdauersportlers einnehmen? Und für welche Disziplin im Triathlon eignet er sich idealerweise?
Schröder: Der Energieriegel sollte bei langen und/oder intensiven Trainingseinheiten ein ständiger Begleiter sein. Ideal kann er auf dem Rad eingesetzt werden. Beim Laufen empfehlen sich hingegen Getränke und Gels, denn hier kann schlechter gekaut werden und das Risiko, sich zu verschlucken, steigt. Riegel bieten eine große geschmackliche Vielfalt, enthalten unterschiedliche Inhaltsstoffe, die je nach Zielsetzung der Trainingseinheit und der Belastungsart gewählt und sinnvoll eingesetzt werden können. Sicherlich ist auch der Verzehr einer Banane möglich. Allerdings bin ich persönlich nach einem intensiven Rempler beim Marathonstart mit einer Banane in der Trikottasche und dem sich daraus ergebenden Bananenmus im Trikot von der natürlichen Verpackung nicht mehr 100-prozentig überzeugt.
Arendt: Immer wieder höre ich, dass die persönliche Kaufentscheidung für eine Marke neben dem Geschmack häufig auch davon abhängt, welche Produkte beim jeweiligen Saisonhöhepunkt auf den Verpflegungstischen liegen …
Schröder: … wenn dem tatsächlich so ist, wundert es mich nicht, dass mancher Traum von einer neuen Langdistanzbestzeit bereits nach 100 Kilometern auf der Radstrecke aufgrund quälender Magenprobleme begraben werden muss. Sicherlich mögen die Ursachen hierfür von Athlet zu Athlet verschieden und ohne Weiteres auch nicht zu verallgemeinern sein, aber die betroffenen Sportler sollten ihre Ernährungsstrategie einmal kritisch hinterfragen und sich im Vorfeld ihres Saisonhöhepunktes intensiv mit der Wettkampfverpflegung auseinandersetzen, ganz zu schweigen von den Essgewohnheiten während des Trainings.
Arendt: Und welche Vorgehensweise empfehlen Sie?
Schröder: Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen an Lebensmittelallergien und unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden, kann jeder Athlet anhand der „Nutrition Facts“ erkennen, welche Nährstoffe mit welcher Gewichtung in den jeweiligen Riegeln enthalten sind. Auch sollte der Gang zu einem anerkannten Institut, Arzt oder Ernährungsexperten nicht gescheut werden, um mögliche Intoleranzen bestimmen zu lassen und somit den Verzehr bestimmter Produkte kategorisch auszuschließen. Schließlich reagiert jeder Organismus anders auf körperliche und psychische Belastung. Auch wenn es den Geldbeutel belastet, rate ich aus diesem Grund jedem Ausdauersportler unterschiedliche Produkte im Training und in den Vorbereitungswettkämpfen auszuprobieren, um festzustellen, welcher Riegel am besten vertragen wird und mit welchem die optimale Leistung abgerufen werden kann. Nichts ist schlimmer, als sich mit einem ungeeigneten Produkt zu verpflegen. Das Resultat wäre das gleiche, wenn jemand mit leeren Speichern oder einem Hungergefühl sportliche Höchstleistungen erzielen möchte.
Arendt: Herr Schröder, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen.
Aufgefallen
Verbrauchshinweise Ganz im Gegensatz zu Energiegetränken und Gels verzichtet ein Großteil der Hersteller darauf, darzustellen, zu welchem Zeitpunkt wie viele Riegel den Energiehaushalt ausgleichen können. Unternehmen wie Penco und PowerBar verweisen hingegen nicht nur auf die maximal empfohlene Tagesration, sondern auch darauf, dass Energieriegel nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung anzusehen sind. Sponser und Squeezy empfehlen explizit die Zuführung von ausreichend Flüssigkeit. Bei der Verwendung von Trockenfrüchten sollten die Athleten darauf achten, ob diese im Rahmen einer längeren Belastung nicht abführend wirken.
Konsistenz Die bei Kühlschrank- und Zimmertemperatur verkosteten Riegel waren überraschenderweise mit nur ganz wenigen Ausnahmen wenig klebrig. Da viele Hersteller Haferflocken, Trockenfrüchte und Crisps sichtbar eingearbeitet hatten, ließen sich die Energiespender durchweg problemlos abbeißen und verzehren.
Verpackung Das Öffnen der Verpackung kann etliche Nerven kosten, insbesondere wenn bei einer hochintensiven Radeinheit die Riegelverpackung mal eben schnell aufgerissen werden soll. Mit Ausnahme am Oat King von Carboo4U waren überall vertikal (längs des Riegels) angeordnete Einrisskerben vorhanden. Die Verpackungen ließen sich ohne großen Kraftaufwand – Ausnahmen waren Dextro Energy und Sponser – öffnen, allerdings nur dann, wenn die mittig angeordnete „Verpackungsfalz“ am oberen Ende festgehalten wurde. Das Aufziehen mit der zweiten Hand beziehungsweise den Zähnen hatte ein „geordnetes Öffnen“ längs des Riegels zur Folge. Wurde diese Vorgehensweise nicht berücksichtigt, so musste die in aller Regel zu kleine Öffnung durch zusätzliches Pfriemeln mit den Zähnen und Fingern irgendwie vergrößert werden, je nach Fahrsituation auf dem Zeitfahrrad eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle. Mit Ausnahme von Mule Bar wurden durchweg umweltunfreundliche Verpackungsmaterialien verwendet, bei denen insbesondere die Abrissreste schnell in der Umwelt landen.
Hygiene Berücksichtigt man die bei der Produktion einzuhaltenden Vorschriften der zuständigen Gesundheitsbehörden, so wird beim Verzehr jedwede Contenance über Bord geworfen. Denn in aller Regel werden die Verpackungen entweder mit der Hand oder den Zähnen aufgerissen, um den Inhalt anschließend in den Mund zu schieben. Nicht auszudenken, durch wie viele Hände die Verpackung bis zum Verzehr gegangen ist. Und weil viele Athleten mit Zähnen, Zunge und Lippen die letzten Reste des Riegels aus der Verpackung ziehen, sollte auch die „gefühlte chemische Reaktion“ des Verpackungsmaterials mit Amalgamfüllungen nicht unterschätzt werden. An die auf das Oberrohr und Zeitfahrlenker „aufgeklebten“ mundgerechten Riegelstücke möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht näher eingehen!
Produkttest 2012: Energieriegel
aktiv3, Carboo4U und Dextro Energy
Energy System, High5 und Mule Bar
Multipower, Oatsnack und Penco
PowerBar und Sponser
Squeezy, Ultra Sports und Xenofit
Text: Klaus Arendt
Fotos: Ralf Graner | ralfgraner.de
Quelle: tritime (Ausgabe 3-2012)