Was genau passiert in meinem Körper, wenn ich eine Selbstmassage mit einem Foamroller durchführe, das fragen sich viele Athleten, die sich mit Faszientraining vertraut machen und Übungen in ihr Training integrieren. Was sich genau hinter dem Thema Faszien versteckt und was wirklich die Wirkung von dieser Art von Training ist, verrät Katja Bartsch.
Altersklassenathleten wie Profisportler nutzen die neuen Erkenntnisse aus Medizin und Sportwissenschaft, um das fasziale Gewebe „fit“ zu machen und so von mehr Beweglichkeit und einer schnelleren Regeneration zu profitieren. Eine von ihnen ist auch Profitriathletin Sonja Tajsich. Die Langstreckenathletin wurde vor circa zwei Jahren von ihrem Physiotherapeuten auf das neue Trainingsgerät – die Schaumstoffrolle – aufmerksam gemacht.
Zunächst war Tajsich skeptisch und fragte sich, was die Arbeit mit der Rolle bringen sollte, zumal diese Art von Selbstmassage zunächst äußerst schmerzhaft war. „Das war für mich aber gleichzeitig das Zeichen, dass sich irgendetwas dadurch in meinem Körper verändert, was mir gut tut“, so die Triathletin. Schon nach kurzer Zeit konnte die Athletin die positive Wirkung spüren. „Alles fühlt sich nach dem Rollen leichter und gelöst an“, berichtet die Triathletin, die die neue Trainingsform oft abends vor dem Schlafen in ihren Tagesablauf einbindet.
Aufbau der Faszien
Faszien bestehen zu circa 70 Prozent aus Wasser. Wichtige Bestandteile sind außerdem die Strukturproteine Kollagen und Elastin, die dem Bindegewebe sowohl seine Form als auch seine Beweglichkeit verleihen. Bildlich vorstellen kann man sich fasziales Gewebe wie ein flüssiges Spinnennetz. Die formgebenden Kollagenfasern verlaufen wellenförmig oder netzartig und bilden so Sehnen, Bänder, Muskelhüllen und Organkapseln. Myofasziale Leitbahnen, also Bindegewebsbahnen, verbinden Muskelstränge über den ganzen Körper hinweg.
Das Bindegewebe weist eine enorme Anpassungsfähigkeit auf: bei hoher Belastung wird es fester, bei fehlender Bewegung bilden sich Querverbindungen zwischen den Kollagensträngen – sogenannte Cross Links. Das Bindegewebe verklebt und verfilzt. Die elastischen Eigenschaften, die für eine ökonomische Bewegung der Muskulatur erforderlich sind, gehen verloren.
Ziel des Faszientrainings ist es daher, die Kollagenstruktur durch bestimmte Trainingsformen zur ständigen Erneuerung anzuregen, so dass Verklebungen gelöst und die unterschiedlichen Bindegewebsschichten wieder frei gleiten können.
Wirkung des Trainings mit dem Foamroller
Was passiert nun beim Training mit der Schaumstoffrolle? Unter dem tiefen Druck, der mit der Rolle auf den jeweiligen Gewebeabschnitt ausgeübt wird, wird Wasser aus dem beanspruchten Gewebe gedrückt. In der darauf folgenden Entlastungsphase entsteht ein Unterdruck – das Gewebe saugt sich mit neuem Wasser voll. So werden der Flüssigkeitsaustausch und damit der Stoffwechsel im Gewebe angeregt. Verklebungen lösen sich und die Regeneration kann durch den verbesserten Stoffaustausch beschleunigt werden.
Wenn gleich sich ein unmittelbares Gefühl von Gelöstheit und Beweglichkeit nach dem Rollen einstellen kann, benötigt das Training mit der Rolle circa ein bis zwei Jahre, bis sich nachhaltige Effekte einstellen können. Denn die Kollagenfasern, die zu den wichtigsten Bestandteilen des Bindegewebes gehören, erneuern sich nur langsam. Innerhalb eines Jahres wird in etwa die Hälfte der festen Fasern ausgetauscht, die maßgeblich für die Formgebung des Gewebes verantwortlich sind.
Trainingsformen für Faszien
Neben der Fascial Release Technik, bei der mit Foamrollern das Bindegewebe geschmeidiger gemacht wird und Verklebungen gelöst werden, gibt es noch drei weitere Trainingsformen.
Beim Fascial Stretch kommen sowohl lange Dehnungen als auch wippende und federnde Übungen zum Einsatz. Ziel dieser Übungen ist ein multidirektionales, bewegungsfreudiges Gewebe.
Im Rebound Elasticity Training macht man sich Katapulteffekte – ähnlich wie beim Springen lassen eines elastischen Gummibandes – zu Nutze. Beschleunigende Bewegungen mit vorbereitenden Gegenbewegungen fördern die kinetische Speicherenergie der Faszien.
Die Forschung zeigt, dass Faszien auch als Sinnesorgan eine wesentliche Rolle spielen. Die Wahrnehmung von Bewegung, die sogenannte Propriozeption ist von großer Bedeutung für die Bewegungsausführung. Im Propriozeptiven Refinement geht es darum, das Spüren von Bewegung zu schulen und so eine öknomische Bewegungsausführung zu erzielen.
Faszien & Verletzungen
Wissenschaftler erforschen aktuell den Zusammenhang zwischen Faszien und verschiedenen Schmerzsyndromen. Einen neuen Ansatz in der Schmerzforschung liefert die Erkenntnis, dass Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich häufig weder von der Muskulatur noch von Bandscheiben oder Wirbelkörpern herrühren.
Bei Rückenschmerzpatienten wurde vermehrt eine verdickte Lumbalfaszie festgestellt. Diese kann durch Mikroverletzungen, also kleinsten Risse, zu Entzündungen und entsprechenden Schmerzkaskaden führen. Im Lendenbereich sind die Faszien darüber hinaus dicht mit Schmerzsensoren besiedelt, was die verstärkte Übertragung von Schmerzsignalen an das Gehirn aus dieser Körperregion erklären könnte.
Auch der altbekannte Muskelkater scheint in vielen Fällen kein Muskel-, sondern ein „Faszienkater“ zu sein. Verantwortlich sind kleine Verletzungen im Bindegewebe.
Nicht zuletzt diese Erkenntnisse haben Mediziner und Physiotherapeuten dazu bewegt, die Faszien stärker in den Fokus zu nehmen. Heute betonen Fachleute die Rolle des Bindegewebes in Therapie und Verletzungsprophylaxe.
Positive Wirkungen des Faszientrainings
Die Vorteile des Faszientrainings liegen auch für Sonja Tajsich auf der Hand: „Die so erzielte größere Bewegungsamplitude kann beim Schwimmen, auf dem Rad in der Aeroposition und beim Laufen genutzt werden“, sagt die Profiathletin.
Und das Beste daran: Faszientraining will keine bestehenden Trainingspraktiken ersetzen. Es versteht sich als Ergänzung zum gewohnten Training. Schon zwei bis drei mal zehn Minuten pro Woche reichen aus, um das fasziale Gewebe zu stimulieren.
„Ich baue das Training phasenweise ganz unterschiedlich ein“, berichtet Tajsich, „manchmal tut mir das Rollen jeden Tag gut, manchmal rolle ich nur alle paar Tage ein paar Minuten, je nach Belastung und Gefühl“.
Damit trifft die Sportlerin die Sichtweise vieler Faszienforscher auf den Punkt: Ziel des Faszientrainings ist es, den Körper in der Gesamtheit seiner Strukturen zu sehen – und das kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen.
Das anatomische Standardwerk von anno dazumal ist dabei längst außer Mode gekommen: ein Gespür für den eigenen Körper und die mannigfaltige Struktur der Faszien zu bekommen – je nach Belastung und Gefühl – sollte Ziel der Integration des Fasziengedankens in das Training sein.
Profitipp für das Training mit dem Foamroller von Sonja Tajsich
Oberschenkelaußenseite – iliotibiales Band
Rolle mit der Oberschenkelaußenseite über die Foamroll. Verharre dort, wo Verklebungen deutlich zu spüren sind. Ziehe von dort aus die Ferse langsam zum Gesäß und strecke das Bein anschließend wieder. Nach zwei bis drei Widerholungen rolle wieder ein kleines Stück weiter und wiederhole das Heranziehen der Ferse zum Po.“
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Faszination Faszien – Training für das Bindegewebe
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Katja Bartsch stammt aus der Triathlonhochburg Roth und fand schon in ihrer Jugend die Begeisterung für den Triathlon- und Laufsport. Katja ist Yogalehrerin und Sportwissenschaftlerin und war an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München tätig. Du möchtest mehr über Faszientraining oder Workshops zum Thema Yoga für Läufer und Triathleten erfahren: katja@yogathlet.de